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Eine Virusprobe wird für die Sequenzierung vorbereitet. Diese Analysen sind auch hierzulande voll angelaufen, geben aber nur einen ungefähren Überblick über die Verbreitung der Virusvarianten.

Foto: Reuters / Kai Pfaffenbach

Seit mittlerweile drei Wochen ändert sich bei den täglich gemeldeten Infektionszahlen in Österreich nur wenig. Trotz eines harten Lockdowns halten wir bei 1.000 bis 2.000 bestätigten Neuinfektionen täglich – im Schnitt in etwa doppelt so viele wie angestrebt. Es gibt vor allem zwei Gründe, die für den Status quo verantwortlich sind: zum einen Personen, die sich nicht an die Maßnahmen halten wollen oder können. Und zum anderen die neuen, ansteckenderen Virusvarianten. Unklar ist, wie hoch der jeweilige Anteil ist.

Bei ihrer Pressekonferenz am Montagabend blieben die Vertreter der Regierung zur Verbreitung der Mutanten in Österreich recht vage. Konkreter wurde nur Oswald Wagner, Vizerektor der Med-Uni Wien und Mitglied des Covid-19-Expertengremiums der Regierung. Er konstatierte einen starken Anstieg des relativen Anteils der britischen Variante B.1.1.7 auf 20 bis 40 Prozent – und bestätigt das auch im Gespräch mit dem STANDARD. Die Daten aus Wien lassen laut Wagner darauf schließen, das die ansteckendere britische Variante mittlerweile bis zu 40 Prozent der Neuinfektionen ausmache.

Was aber bedeutet das? Und wie sieht es mit den anderen Regionen in Österreich aus? Nun, so genau weiß man das immer noch nicht, auch wenn man die nötigen Sequenzieranstrengungen mittlerweile vervielfacht hat, wie Andreas Bergthaler vom CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) erklärt. An seinem Institut habe man die Vollsequenzierungen verzehnfacht und liege bei 400 sequenzierten Virengenomen pro Woche. Dazu kommen wöchentlich mehrere Tausend PCR-Tests auf Virusvarianten in anderen Forschungseinrichtungen.

Fehlendes Dashboard für Mutanten

Was (noch) fehlt, ist freilich ein Dashboard, das diese Daten zusammenführt, wie das in anderen Ländern wie etwa Dänemark oder der Schweiz längst geschieht.

Solche Übersichtsgrafiken zur Ausbreitung der Virenvarianten (wie hier zur Verbreitung der Mutante B.1.1.7 in Dänemark) würde man sich auch für Österreich wünschen.
Grafik: Danish Covid-19 Genome Consortium

Österreich hinkt auch da – wegen des Kompetenzwirrwarrs und mangelnder Digitalisierung im Gesundheitsbereich – hintennach. Doch allem Anschein nach wurde das Problem im Gesundheitsministerium erkannt, wie Wagner berichtet, und man arbeitet dort an einem solchen Auskunftssystem.

Bis es so weit ist, ähnelt das österreichische "Gesamtbild" noch einem Puzzle, bei dem viele Teile fehlen. Die bereits vorhandenen Puzzlestücke hat Bergthaler, Österreichs Pionier in Sachen Sars-CoV-2-Sequenzierung, in den vergangenen Tagen in Eigenregie zusammengetragen und Montagnacht auf Twitter öffentlich gemacht.

Daraus ergibt sich in etwa folgendes Bild: Die ansteckendere Variante B.1.1.7 ist im Osten Österreichs vermutlich stärker verbreitet als im Westen. Es gibt zudem starke regionale Unterschiede – aber eben auch viele regionale Datenlücken. Insgesamt ist die britische Mutante aber unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Das decke sich mit Beobachtungen und Erkenntnissen aus anderen europäischen Ländern, so Bergthaler im Gespräch mit dem STANDARD.

Vom Burgenland bis Vorarlberg

Konkret hat sich im Burgenland der B.1.1.7-Anteil unter den identifizierten Sars-CoV-2-Viren in den ersten vier Kalenderwochen laut kontinuierlichen Analysen von 1,7 auf 37 Prozent erhöht. Der markanteste Wert in Niederösterreich ist jener aus einer Kläranlagenprobe in Bad Vöslau mit 71 Prozent unter den dort gefundenen Sars-CoV-2-Viren. In der Steiermark gebe es Hinweise auf einen Verbreitungsanteil der britischen Variante von rund einem Viertel. Insgesamt zeigte vor allem die Kurve im Osten des Landes zuletzt stärker nach oben.

Aber auch weiter im Westen gibt es anscheinend Hotspots: Die Proben der Kläranlage Salzach-Pongau wiesen einen B.1.1.7-Anteil von null Prozent am 18. Dezember auf, am 3. Jänner waren es bereits 54 Prozent. Das könnte auch erklären, warum die Infektionszahlen in Salzburg kaum zurückgingen. In Vorarlberg hingegen konnte in Abwasserproben bis dato nur einmal ein Hinweis auf B.1.1.7 entdeckt werden. Die Verbreitung wird demnach auf weniger als ein Prozent geschätzt.

Tirol als Europas Hotspot für B.1.351

Doch nicht allein die unaufhaltsame Ausbreitung von B.1.1.7 macht Sorgen. Eine Besonderheit im europäischen Vergleich ist die starke Verbreitung der südafrikanischen Virusvariante B.1.351 in Tirol. Diese Variante ist nicht nur ansteckender, sondern reduziert vor allem aufgrund der Mutation E484K (vulgo: Erik) auch Immunantworten. Mit anderen Worten: Impfungen könnten dadurch weniger wirksam und Reinfektionen mit der neuen Variante häufiger werden.

Das gelte aber womöglich auch umgekehrt, wie die Virologin Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck erklärt: "Wir können nicht ausschließen, dass sich Personen, die mit B.1.351 infiziert waren, womöglich noch einmal mit dem 'Wildtyp' des Virus anstecken."

Laut den jüngsten Zahlen von Ende vergangener Woche dürften aktuell in etwa die Hälfte der Infektionen mit einer neuen Variante auf die südafrikanische B.1.357-Variante zurückgehen, so von Laer. Diese Variante, die sich in Europa ansonsten noch kaum ausgebreitet hat, könnte damit in Tirol über zehn Prozent der Neuinfektionen ausmachen, allerdings werden die genauen Zahlen derzeit noch erhoben, sagt von Laer.

Bergthaler ergänzt, dass eine Tiroler Stichprobe einen B.1.351-Anteil von 15 Prozent aufwies, aber nur fünf Prozent B.1.1.7. Er weist aber auch darauf hin, dass noch nicht geklärt sei, ob die genaue Ausbreitung in Tirol regional geclustert oder schon weiter verbreitet ist.

"Tiroler Subtyp" der südafrikanischen Variante

Das allein ist einigermaßen besorgniserregend, weshalb sich von Laer dafür ausspricht, die Grenzen rund um Tirol möglichst dichtzumachen. "Noch kann man die Ausbreitung dieser Variante vielleicht verlangsamen und zumindest Zeit gewinnen."

Dazu kommt aber noch ein weiterer irritierender Befund: Die Fälle von B.1.351 in Tirol dürften selbst schon wieder zumindest zwei bis drei fixe zusätzliche Mutationen aufweisen. Sie sind also quasi ein "Tiroler Subtyp" der südafrikanischen Variante, wie von Laer erklärt, die an ihrem Institut in Eigenregie die Sequenzieraktivitäten hochfährt. Welche Eigenschaften diese beiden Mutationen mit sich bringen, sei aber noch völlig unklar.

Mutationen der Mutanten

Veränderungen der Mutanten gibt es aber auch anderswo: Aus Großbritannien wurden erste Fälle von B.1.1.7 bekannt, die ebenfalls zusätzlich noch die "Erik"-Mutation aufweisen, die auch die brasilianische Variante P.1 besitzt.

P.1 tauchte in der Millionenstadt Manaus am Amazonas auf, wo die Pandemie aktuell besonders schlimm wütet, obwohl dort bereits besonders viele Menschen infiziert waren. Was der Grund dafür ist, konnte in einem neuen Aufsatz im Fachblatt "The Lancet" auch (noch) nicht geklärt werden. Aber die Mutante dürfte dabei eine Rolle gespielt haben.

Ähnlich unklar ist aktuell noch die konkrete Mutantenverbreitung in Österreich. Doch trotz der Unvollständigkeit der Daten scheint offensichtlich, dass B.1.1.7 nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Teilen Österreichs demnächst dominant werden wird. Das, so steht zu befürchten, könnte bald auch an den Infektionszahlen ablesbar sein – knapp vor oder bald nach den ersten Lockdown-Lockerungen. (Klaus Taschwer, 3.2.2021)