Am Mittwoch, 20. Jänner, feierte Klimaministerin Leonore Gewessler bei der Baustelle für die U2/U5 in Wien Premiere: Ihr erster Spatenstich auf großer Bühne.

Foto: APA/Wiener Linien

In Sachen nonverbale Inszenierung ist der Spatenstich Oberliga. Selten zeigen sich Politiker zukunftsweisender und optimistischer, deswegen machen sie das auch so gern. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat sich seit ihrem Amtsantritt merklich zurückgehalten, dabei gäbe es gerade im Infrastrukturbereich viele Baustellen, die man eröffnen kann. Was war da los?

STANDARD: Frau Gewessler, Gratulation zum ersten Spatenstich.

Gewessler: Danke, aber das war jetzt keine besonders große Leistung. Im Wesentlichen geht man hin und nimmt den Spaten. Fertig. Ist ziemlich unaufregend eigentlich. Und es war genau genommen schon mein dritter.

STANDARD: Arbeiten Sie dabei mehr mit den Händen oder mit den Füßen?

Gewessler: Ich nehme die Schaufel, stelle meinen Fuß drauf und trete fest nach unten. Wenn Sie so wollen, dann Beinarbeit.

STANDARD: Bei einem Spatenstich stehen meistens viele Politiker dicht an dicht vor einem Sandhaufen und halten eine Schaufel in die Kamera. Ganz im Ernst: Kommt man sich dabei nicht ein bisschen affig vor?

Gewessler: Na gut, es wird ja niemand ernsthaft glauben, dass ich selbst Löcher oder gar einen Tunnel grabe. Nein, ein Spatenstich ist ein freudiges Ereignis. Es markiert den Punkt, wo die jahrelange Planung beginnt praktisch zu werden. Ein Wendepunkt für die Leute, die jahrelang ein Projekt vorbereitet haben und jetzt sehen, dass es endlich losgeht. Ein Spatenstich ist ein bisschen wie die Gleichenfeier beim Hausbau – eine schöne Tradition. Ich finde, das kann man schon feiern.

STANDARD: Aber ist es nicht trotzdem ein eigenartiger Rollenwechsel: Viele Jahre sind die Grünen bei solchen Veranstaltungen eher auf dem Boden gesessen, haben Straßen blockiert oder sich irgendwo angekettet, damit nicht gebaut werden kann.

Gewessler: Ich glaube nicht, dass man irgendwann schon einmal jemanden wegtragen musste, damit eine U-Bahn gebaut werden konnte.

STANDARD: Ich würde an Ihrer Stelle nicht drauf wetten.

Gewessler: Es kommt natürlich schon auf die Projekte an. Ich habe jetzt den U-Bahn-Bau eröffnet, davor war es eine Werkstätte für Nachtzüge und einmal ein Windpark. Einige andere Sachen habe ich abgelehnt, einen Solarpark, wo mit dem Strom Erdöl aus dem Boden geholt wird. Ich gehe nur wohin, wo ich felsenfest davon überzeugt bin, dass ich vom Projekt zu 100 Prozent überzeugt bin – weil es dem Klimaschutz dient und ein Zukunftsprojekt ist.

STANDARD: Aber Projekte für die Zukunft mit Bildern bewerben, auf denen Politiker genau das Gleiche machen wie in den 70ern? Ist das nicht ein bisschen so, als würde man bei einem Zoom-Call mit Overhead-Folien hantieren?

Gewessler: Bilder sind nach wie vor ein gutes Mittel der politischen Kommunikation. Der Spatenstich ist ein Ritual, bei dem jeder auf einen Blick sieht, worum es geht. Solche Bilder sind ein Werkzeug, gar kein schlechtes übrigens, weil sie mehr auffallen als eine Presseaussendung. Und gerade im Klimaschutz sind wir darauf angewiesen, immer und immer wieder unsere Botschaft anzubringen, die Menschen darauf hinzuweisen, dass ihr Leben ganz konkret besser wird, wenn wir sauberen Strom produzieren, wenn der öffentliche Verkehr und die Infrastruktur dafür ausgebaut werden. Da geht es wirklich um unsere Zukunft, und wenn man da mit Fotos mehr Bewusstsein schafft, dann ist mir das recht. Auch wenn man dafür eine Schaufel in die Hand nehmen muss.

STANDARD: Ein Großmeister darin war Erwin Pröll, aber auch Ihr deutscher Amtskollege Andreas Scheuer war im Jahr 2019 fleißig wie die Bienen. Er hat im Jahr vor Corona insgesamt 63-mal bei einem Straßenbauprojekt in die Erde gestochen.

Gewessler: Diese Rekorde werde ich heuer wohl nicht brechen.

STANDARD: Apropos: Die deutsche Staatssekretärin Dorothee Bär hat einmal in einem Interview mit der "FAZ" über ihre Erfahrungen bei Spatenstichen erzählt: "Man hat mir gleich beim Amtsantritt gesagt, ich soll mir wegen der Baustellenbesichtigungen und Spatenstiche andere Schuhe kaufen. Hab ich nicht gemacht. Ich war auch in High Heels geländegängig, auf jeder Baustelle, in jeder Sandgrube. Wenn man das will, geht das."

Gewessler: Ich habe mich bisher auch noch nie eigens angezogen, aber ich habe mir schon überlegt, welches Schuhwerk man auf einer Baustelle anhat. Weil man ist auf einer Baustelle. Falls es jemand interessiert: Ich hatte keine High Heels an, aber das habe ich sonst auch kaum. Ich trug geländegängiges Schuhwerk. Und das kann ich nur jedem für einen Spatenstich empfehlen, weil wie gesagt: Man ist dabei auf einer Baustelle.

STANDARD: Der Spatenstich gilt als schmutziger kleiner Bruder des Banddurchschneidens – wer ein Band durchschneidet, eröffnet nämlich etwas, das schon fertig ist. So als Politikerin: Schneiden Sie nicht auch lieber Bänder durch, als auf dreckigen Baustellen herumzustehen?

Gewessler: Natürlich ist es super, etwas zu eröffnen, und alle haben gleich was davon. Aber gerade Infrastrukturprojekte dauern immer sehr lang, oft Jahrzehnte. Die U2/U5 wird frühestens 2026 eröffnet, der Koralmtunnel, wo ich beim Abschluss der Tunnelbauarbeiten leider nur virtuell dabei war, auch erst 2025. Ich freue mich aber schon sehr auf die erste Fahrt durch diesen Tunnel.

STANDARD: Möglicherweise als Privatperson, denn beide Termine sind fix erst in der nächsten Legislaturperiode.

Gewessler: Ach, ich mache meinen Job sehr gern und habe eigentlich vor, ihn länger zu machen. (Markus Huber, 3.2.2021)