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US-Außenminister Blinken kündigt Abstimmungen an, um gegen Russland vorzugehen.

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Moskau – Die USA, die EU und Österreich haben die sofortige Freilassung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny gefordert. Man sei "äußerst besorgt" über die am Dienstagabend von einem Moskauer Gericht ausgesprochene Haftstrafe gegen Nawalny, teilte US-Außenminister Antony Blinken mit. Die USA würden sich eng mit ihren Verbündeten abstimmen, "um Russland zur Rechenschaft zu ziehen". Dieses wies die Aufrufe als "realitätsfern" zurück.

Russland zieht Forderungen ins Lächerliche

"Wir akzeptieren dieses Urteil nicht. Justiz darf nicht politisiert werden", teilte EU-Ratspräsident Charles Michael im Namen der Union mit. Russland zeigte sich ungerührt. Der Westen solle sich nicht in hoheitliche Angelegenheiten Russlands einmischen, erklärte das Außenministerium. Die Forderung nach einer Freilassung sei "realitätsfern".

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kritisierte das Urteil als "fernab jeder Rechtsstaatlichkeit". Nawalny müsse sofort freigelassen werden, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter. Die Gewalt gegen friedliche Demonstranten müsse aufhören.

Kurz: Verurteilung "inakzeptabel"

Das umstrittene Urteil wurde auch in Österreich scharf kritisiert. Die Verurteilung sei "inakzeptabel", schrieb Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstagabend auf Twitter. "Ich fordere seine sofortige Freilassung sowie ein Ende der Gewalt gegen friedliche Demonstranten."

Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, bezeichnete Nawalny im Ö1-"Journal um acht" als "größte Gefahr" für Putins Machtanspruch. Die Verurteilung zu einer Haftstrafe sei "nicht rechtens", ebenso wenig die hunderten Festnahmen von Menschen, die lediglich für Demokratie demonstrieren würden. "Wir müssen darüber nachdenken, das Pipelineprojekt Nord Stream 2 zu stoppen und so den Druck auf Moskau zu erhöhen", erklärte Schieder.

Zuvor hatte das Außenministerium die "sofortige und bedingungslose Freilassung" Nawalnys gefordert. "Seine Menschenrechte und Grundfreiheiten müssen respektiert werden, genauso wie jene aller anderen Protestierenden und Medienvertreter, die in den vergangenen Tagen festgenommen wurden", schrieb das Außenministerium am Dienstagabend in englischer Sprache auf Twitter.

"Perverses Urteil"

Ähnlich hatte sich zuvor der deutsche Außenminister Heiko Maas geäußert. Sein britischer Kollege Dominic Raab sprach von einem "perversen Urteil", das eher auf die Opfer eines Giftanschlags abziele als auf die dafür Verantwortlichen. "Das zeigt, dass Russland die grundlegendsten Verpflichtungen nicht erfüllt, die von jedem verantwortungsvollen Mitglied der internationalen Gemeinschaft erwartet werden."

Scharfe Kritik am Vorgehen des Kreml kam von der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Erst Nawalny vergiften und ihn dann ins Gefängnis stecken, weil er im Koma liegend Bewährungsauflagen nicht erfüllt? Zynismus pur", schrieb die CDU-Politikerin am Dienstag auf Twitter.

Zurufe aus Frankreich und der EU

Der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichnete das Urteil als "inakzeptabel". Der tschechische Außenminister Tomáš Petříček sprach von einem "Schauprozess". Das Thema weiterer EU-Sanktionen gegen Russland müsse nun wieder auf die Tagesordnung. Litauen und Lettland forderten ebenso EU-Sanktionen und stellten eigene Maßnahmen in Aussicht, wenn sich die Union diesbezüglich nicht schnell verständige.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der am Donnerstag in Moskau erwartet wird, sprach von einer Verletzung der internationalen Verpflichtungen Russlands. "Ich rufe zu seiner unverzüglichen Freilassung auf", twitterte Borrell. Aus Diplomatenkreisen verlautete, dass Borrell trotz des Urteils an seiner Moskau-Reise festhalte.

Kritik von Amnesty International

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wertete das Urteil als Zeichen für die "Verzweiflung", mit der die russischen Behörden Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen versuchen. "In ihrem Rachefeldzug gegen Alexej Nawalny und seine Unterstützer haben die russischen Behörden noch den letzten Rest an Gerechtigkeit und Respekt für Menschenrechte entsorgt", erklärte die Leiterin des Moskauer Amnesty-Büros, Natalja Swiagina.

Der Aktivist Jaka Bizilj, der Nawalny im August mit seinem Privatflugzeug zur Behandlung nach Deutschland gebracht hatte, sprach von einer "absurden Verurteilung". Diese deute darauf hin, "dass sich in Russland eine nicht mehr aufhaltbare Abkehr von einer Demokratie zum alten autoritären Regime der Sowjetunion vollzieht, in dem Putin seine Karriere als KGB-Offizier begann".

Schauprozess

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, sprach von einem "Schauprozess" mit dem Ziel, "eine erfolgreiche oppositionelle Stimme zum Schweigen zu bringen". Weil die russische Justiz "als verlängerter Arm des Kreml" agiere, sei das Urteil "nicht überraschend". Es sei aber "sicher eines, das weder die internationale Gemeinschaft noch die erwachte Opposition zum Schweigen bringen wird, im Gegenteil". (APA, 3.2.2021)