Die Spur von Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek verläuft sich in Russland – seine früheren Aktivitäten wirbeln Staub in der heimischen Politik auf.

Foto: Nibor/Actionpress

Man nehme den größten deutschen Wirtschaftsskandal der vergangenen Jahre, mische das sicherheitspolitische Fiasko rund um die Verfassungsschutz-Affäre dazu und garniere das dann noch mit einem Hauch von Ibiza: So könnte das Rezept für die aktuellen Turbulenzen rund um ehemalige Verfassungsschützer und den einstigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek lauten. Ein Kriminalfall mit vielen Strängen – der STANDARD versucht sie zu entwirren.

Frage: Was hat das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung mit dem deutschen Konzern Wirecard zu tun?

Antwort: Der einstige Wirecard-Manager Jan Marsalek, ein gebürtiger Österreicher, suchte offenbar sowohl die Nähe von Nachrichtendiensten als auch der Politik. Neben dem Tagesgeschäft als Chief Operating Officer (COO) des Finanzdienstleisters betrieb Marsalek zahlreiche andere Projekte, manche dubioser Natur. Im Jahr 2015 lernte der damalige BVT-Abteilungsleiter Martin W. "im Zuge einer Veranstaltung in einem Ministerium" dann Marsalek kennen. Als W. im Jahr 2017 aus dem BVT ausschied, wandte er sich an Marsalek, um ein Projekt vorzustellen; so begann die Partnerschaft der beiden Österreicher.

Frage: Wie wurde das dann zum Kriminalfall?

Antwort: Hier gibt es mehrere Stränge: W. soll Marsalek einige seiner früheren Kollegen vorgestellt haben. Im Raum steht, dass einer von ihnen – Herr O. – für W. und Marsalek auf Polizeidatenbanken zurückgriff, um ihre Geschäftspartner zu prüfen. O. bestreitet das, er will nur mit offen zugänglichen Quellen wie Google oder dem Firmenbuch recherchiert haben. Außerdem half W. bei der Flucht von Marsalek, nachdem bei Wirecard im Juni 2020 Bilanzfälschungen in Milliardenhöhe ruchbar geworden waren. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Frage: Wo ist Marsalek heute?

Antwort: Der Manager entzog sich dem Zugriff deutscher Behörden, die unter anderem wegen Bilanzfälschung ermitteln. Vom niederösterreichischen Bad Vöslau aus flog er ins belarussische Minsk, seine Spur verliert sich in Russland. Als Fluchthelfer fungierte neben W. auch der einstige freiheitliche Nationalratsabgeordnete Thomas Schellenbacher. Er organisierte den Flug aus Bad Vöslau.

Frage: Wofür ist Thomas Schellenbacher bekannt?

Antwort: Schellenbacher wurde 2013 als politisch unbekannter Manager zum Nationalratsabgeordneten. Seine ukrainischen Geschäftspartner sollen die FPÖ in Form des damaligen Parteichefs Heinz-Christian Strache dafür bezahlt haben, Schellenbacher ein Mandat zu verschaffen – Strache bestreitet das. Der Bodyguard des ehemaligen FPÖ-Chefs fotografierte Sporttaschen voller Bargeld und bot diese Bilder über seinen Anwalt anderen Parteien zum Kauf an. Dieser Anwalt entwickelte später mutmaßlich das Ibiza-Video, um Straches Korruptionsneigung zu dokumentieren.

Um Schellenbacher einen Einzug ins Parlament zu ermöglichen, verzichteten mehrere FPÖ-Politiker nach der Nationalratswahl 2013 auf das ihnen zustehende Mandat. Nach Ende der Legislaturperiode 2017 zog sich Schellenbacher aus der Politik zurück. Danach soll er mit seinem Unternehmen die Asfinag betrogen haben – es gilt die Unschuldsvermutung. In dieser Causa erhob die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Anklage gegen Schellenbacher, der nun in U-Haft sitzt.

Frage: Befinden sich auch einstige Verfassungsschützer in Haft?

Antwort: Ja, nämlich E. O., der Freund von Ex-Abteilungsleiter Martin W., der angeblich Abfragen für Marsalek durchgeführt hat. Er soll auch mit Oppositionspolitikern im engen Austausch über Vorgänge im Verfassungsschutz gestanden sein. Strafbar wäre das, wenn er Amtsgeheimnisse verraten hat. Martin W. war kurz in Haft, dann wurde er wieder entlassen. Er befindet sich nun allerdings laut seiner Anwältin in der Psychiatrie, weil die Belastung infolge der Vernehmung zu groß war.

Frage: Was sagen die Anwälte zu den Vorwürfen?

Antwort: Volkert Sackmann, Anwalt von E. O., und Caroline Toifl, Anwältin von W., haben einen gemeinsamen Brief an die Rechtsanwaltskammer Wien geschrieben. Sie kritisieren darin das Vorgehen der Ermittler massiv. Diese hätten ihre Mandanten alleine einvernommen und Druck ausgeübt. Tatsächlich gab W. in seinen Vernehmungen laut Protokoll mehrfach an, die Anrufe seiner Anwältin zu ignorieren und gerne allein mit den Beamten zu sprechen, obwohl er anderes mit ihr vereinbart hatte. Seine Anwältin will die Vernehmungen nun mit Verweis auf W.s psychische Probleme für ungültig erklären lassen.

Frage: Inwiefern hängen die aktuellen Vorgänge mit der BVT-Affäre des Jahres 2018 zusammen?

Antwort: Bizarrerweise sind die Beschuldigten im aktuellen Verfahren der Staatsanwaltschaft Wien jene Personen, die vor drei Jahren noch Belastungszeugen der WKStA gegen andere Verfassungsschützer waren. Sowohl Martin W. als auch E. O. sagten damals über angebliche Vergehen ihrer Kollegen aus. Den beiden wird auch unterstellt, das ominöse "BVT-Konvolut" voller teils falscher Vorwürfe gegen Verfassungsschützer und Mitarbeiter des Innenministeriums verfasst zu haben – beide bestreiten das.

Frage: Welche politischen Auswirkungen hat die Causa?

Antwort: Ex-Wirecard-COO Marsalek war offenbar eher dem freiheitlichen Lager zugetan, wenngleich nicht nur. Der Manager netzwerkte beispielsweise in der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG). Deren Generalsekretär Florian Stermann kommunizierte mit dem damaligen FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus über BVT-Interna; die Nachrichten dazu sollen von einem "Jan" stammen – vermutlich ist Marsalek gemeint. In Moskau traf Marsalek auch auf den jetzigen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP), der bei einem Dinner neben ihm saß. Auf dieses Foto soll Marsalek besonders stolz gewesen sein, er schickte es an Martin W., der an E. O., und so gelangte es an die Medien.

Frage: Gab es eine Geschäftsbeziehung zwischen Marsalek und österreichischen Behörden oder Politikern?

Antwort: Offenbar war Marsalek in Pläne involviert, eine "Flüchtlings-App", basierend auf Wirecard-Technologie, zu entwickeln. Diese sollte an das bayerische und das heimische Innenministerium verkauft werden. Bei Treffen in Deutschland war auch der ehemalige Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) anwesend. In Österreich leitete das Kanzleramt Marsaleks Projektpartner an das damals freiheitliche Innenministerium weiter. Außerdem wollte er mit dem Verteidigungsministerium ein "Entwicklungshilfeprojekt" in Libyen aufsetzen. Offenbar ging es Marsalek da aber mehr um den Aufbau einer Miliz – der Wirecard-Manager war nämlich in ein Betonwerk und Ölprojekte in Libyen involviert.

Christoph Ulmer, der ehemalige Kabinettschef von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP, 2000–2004), betrieb für Wirecard "Social-Media-Beobachtung" – für 25.000 Euro pro Monat. Auch zu anderen ehemaligen Mitarbeitern ÖVP-geführter Ministerien unterhielt Marsalek Geschäftsbeziehungen.

Frage: Inwiefern war Wirecard-Chef Markus Braun, der beste Beziehungen zur Wiener Politszene hatte, über all das informiert?

Antwort: Das zu klären ist Aufgabe der Ermittler. Viele von Marsaleks Projekten hatten auf den ersten Blick nichts mit Wirecard zu tun. Der ebenfalls in Österreich geborene Braun gibt an, von Marsalek über dessen Gebaren getäuscht worden zu sein. Bevor die Malversationen publik wurden, war Braun in der heimischen Politik gern gesehen: Er saß im Thinktank des Bundeskanzleramts, unterstützte finanziell zuerst die Neos und dann die ÖVP. (Fabian Schmid, 3.2.2021)