Seattle – Die Nachricht kam überraschend, und sie schlug sofort große Wellen. Am Dienstag gab Amazon-Gründer Jeff Bezos bekannt, nach 27 Jahren den Platz an der Sonne zu räumen. Die Nachfolge tritt Andy Jassy an, ein Amazon-Veteran und bisheriger Leiter der der Cloud-Sparte Amazon Web Services. Unter Bezos' Leitung wurde Amazon vom Bücherversandhändler zu einem der mächtigsten und höchstbewerteten Konzerne der Wirtschaftsgeschichte. Amazons am Dienstag nach US-Börsenschluss veröffentlichter Geschäftsbericht für 2020 wurde angesichts der großen Personalie zur Nebensache.

1,3 Millionen Menschen sind beim Konzern beschäftigt, rund 400.000 davon wurden im Vorjahr eingestellt. Für den 57-jährigen Bezos selbst rentiert sich das Geschäft freilich auch. Mit einem momentanen Vermögen von rund 188 Milliarden Dollar ist er der zweitreichste Mann der Welt, Elon Musk überholte ihn kürzlich. Ganz los lässt der Firmengründer aber nicht, vom Vorstandsvorsitz zieht er sich im dritten Quartal auf den Verwaltungsratsvorsitz zurück.

Jeff Bezos strebt ins All.
Foto: EPA/MICHAEL REYNOLDS

Da war es nur noch einer

Sie werden gerne als "Big Five" bezeichnet, jene Techgiganten, die unser Leben am meisten dominieren. Gemeint sind Microsoft, Google, Amazon, Facebook und Apple. Bezos' Rückzug bedeutet, dass nur noch einer davon vom Gründer geführt wird – und zwar Facebook von Mark Zuckerberg. Zuckerberg gründete Facebook vor 17 Jahren, sein Rücktritt ist jedoch momentan mehr als unwahrscheinlich. Wie die Geschichte zeigt, ist es den anderen auch ohne ihre Gründer gut ergangen. Und auch Investoren haben gelernt, damit umzugehen, wenn Konzerngründer die Zügel abgeben.

Das könnte daran liegen, dass die Gründer mit ihren Ideen, Durchhaltevermögen und Geschäftspraktiken die Firmen so weit gebracht haben, dass es keine sonderlich wichtige Rolle mehr spielt, wer die Zügel in der Hand hält. Oder daran, dass diese Konzerne eine Dimension erreicht haben, die von einer Person ohnehin nicht kontrolliert werden kann. Vermutlich macht es eine Mischung aus. Konzerne wie Amazon haben sich quasi zu unternehmerischen Selbstläufern entwickelt, der Erfolg hängt also nicht mehr von einer schillernden Gründerfigur ab. Es bietet sich also an, das Tagesgeschäft jemand anders zu überlassen und sich wieder eigenen respektive anderen Visionen zu widmen.

Große Rücktritte

Die Gründe, aus denen sich Konzerngründer zurückziehen, sind vielseitig, große Aufmerksamkeit erregen sie jedoch allesamt. Steve Jobs zog sich wegen seiner Krankheit von Apple zurück und übergab an Tim Cook. Ein paar Monate später starb Jobs.

Bill Gates trat bereits im Jahr 2000 als Microsoft-CEO zurück, übergab an Steve Ballmer und blieb Aufsichtsratsvorsitzender und Chefentwickler. 2008 verließ er das Tagesgeschäft ganz und widmete sich vermehrt seiner Stiftung für wohltätige Zwecke. Bis 2014 blieb er Chairman (Aufsichtsratsvorsitzender). Zuletzt hatten sich 2019 Google-Gründerväter Larry Page und Sergey Brin aus dem Tagesgeschäft verabschiedet. Übrig ist also – wie gesagt – nur der 36-jährige Zuckerberg.

Weltraum statt Pension

Bezos wandte sich in einem Brief an seine Belegschaft. Darin schrieb er, er wolle sich nicht zur Ruhe setzen, er habe "nie mehr Energie gehabt". Die Aufgabe als Geschäftsführer von Amazon bringe jedoch eine "große Verantwortung mit sich, und die ist aufreibend". In seiner zukünftigen Rolle als Verwaltungsratschef wolle er seine Energie und Aufmerksamkeit auf neue Produkte und Initiativen ausrichten. Außerdem gewinne er so mehr Zeit für andere Projekte wie seine Stiftungen, seine Raumfahrtfirma, den Space-X-Konkurrenten Blue Origin oder die Zeitung "The Washington Post", die in seinem Privatbesitz ist.

Bezos könnte es handhaben wie Bill Gates. Der gab bereits vor mehr als 20 Jahren die Microsoft-Leitung gab und machte sich mit seiner Stiftung als globaler Wohltäter einen Namen. Die Öffentlichkeit könnte von Jeff Bezos "bald mehr hören als weniger", mutmaßt der "Politico"-Journalist Steven Overly auf Twitter.

Gegenwind

Jeff Bezos überlasst Andy Jassy den Chefsessel in einer Zeit, in der der Gegenwind für Techkonzerne mit derartiger Marktdominanz zunimmt. Ein Ausschuss im US-Repräsentantenhaus urteilte vergangenes Jahr, dass Amazon seine Vormachtstellung missbrauche. Der Bericht brachte überdies eine mögliche Zerschlagung dominierender Plattformen ins Spiel.

Der mächtigste Feind von Bezos aber saß bis vor kurzem noch im Weißen Haus: Ex-US-Präsident Donald Trump und Bezos verband eine erbitterte Dauerfehde. Als Hauptgrund galt indes weniger das Geschäftliche, sondern vor allem Trumps Abneigung gegenüber der "Washington Post", die häufig kritisch über ihn berichtet.

In Europa untersucht die EU-Kommission seit langem Amazons Doppelrolle als Händler und Marktplatz-Anbieter und droht mit kartellrechtlichen Schritten. Auch Klagen gegen die Google-Mutter Alphabet und Facebook zeugen von Handlungsbedarf, der STANDARD hat berichtet. Überdies kommt es überall auf der Welt regelmäßig zu Protesten wegen der Arbeitsbedingungen bei Amazon. (Andreas Danzer, 3.2.2020)