Will gegenüber Russland den Balanceakt zwischen Dialog und Sanktionen versuchen: Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP).

Foto: Aussenministerium / Michael Gruber

Die international kritisierte Inhaftierung des russischen Dissidenten Alexej Nawalny wirft einen "gewaltigen Schatten" auf die Beziehung zwischen Wien und Moskau, sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Mittwoch im "Mittagsjournal" auf Ö1. "Das ist eine völlige Opfer-Täter-Umkehr. Nicht das Opfer des feigen Chemieanschlags sollte hinter Gitter, sondern die Täter", so Schallenberg.

"Klare Kante"

Man strebe gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen und Entitäten an, die in den Giftanschlag auf Nawalny verstrickt waren, kündigte der Außenminister an. Wirtschaftssanktionen oder Maßnahmen gegenüber gesamten Sektoren beabsichtige man nicht. "Das schmerzt die Betroffenen schon. Hier wollen wir eine klare Kante zeigen und gleichzeitig die Dialogkanäle offen halten", so Schallenberg. Die EU-Außenminister würden in den nächsten Tagen zusammentreten, weitere Sanktionen seien dann durchaus möglich. Eventuell werde man zum ersten Mal das Globale Menschenrechts-Sanktionsregime der EU aktivieren, das Missbräuche und Verletzungen der Menschenrechte ahndet.

Dennoch will Schallenberg weiterhin eine "zweigleisige Strategie" fahren. Wirtschaftlich sei Russland ein wichtiger Partner, aber in Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Demokratie werde man weiterhin klare Kante zeigen. "Dass die Russen da auf einem Ohr taub sind, ist frustrierend, aber wir werden diesen Kurs weiterverfolgen."

Dreieinhalb Jahre Haft

Nawalny war am Dienstagabend in Moskau zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ein Jahr davon gilt bereits als verbüßt. Grund der Verurteilung waren angebliche Verstöße gegen Bewährungsauflagen aus früheren Verfahren. Nawalny sei nicht wie vereinbart in Moskau bei der Polizei vorstellig geworden. Zu dieser Zeit befand er sich allerdings in Deutschland – und im künstlichen Tiefschlaf.

Im August war der Oppositionelle auf einem Inlandsflug in Sibirien zusammengebrochen. Er wurde in die Berliner Charité ausgeflogen, wo eine Vergiftung mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe festgestellt wurde. Mehrere Speziallabore bestätigten hinterher den Befund. Nawalny selbst macht den russischen Inlandsgeheimdienst für den Anschlag verantwortlich, auch Deutschland und die EU forderten von Russland eine Erklärung. Der Kreml bestreitet jedoch, in die Sache verwickelt gewesen zu sein.

Nach dem umstrittenen Urteil kam es russlandweit zu Protesten, bei denen Demonstrierende mitunter gewaltsam festgenommen wurden. Rund 1.400 Menschen wurden am Dienstag festgenommen, seit Beginn der Proteste vor einigen Wochen sollen es laut der Nichtregierungsorganisation OWD-Info 11.000 gewesen sein.

"Inakzeptables" Urteil

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nannte das Urteil am Dienstag auf Twitter "inakzeptabel". Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) twitterte am Mittwoch: "Ein harter Rückschlag für alle Hoffnungen auf eine Entwicklung Russlands Richtung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Nur die Freilassung Nawalnys, die Zulassung zu den Parlamentswahlen und die Grundrechte für seine Bewegung könnten diese aktuelle gefährliche Entwicklung in Russland umkehren."

Andreas Schieder, Delegationsleiter der SPÖ im Europaparlament, forderte, dass ein Stopp des europäisch-russischen Gaspipelineprojekts Nord Stream 2 angedacht werden müsse. So könne der Druck auf Moskau erhöht werden, sagte Schieder am Dienstag im "Journal um acht" auf Ö1. Ähnliches hatte am Montag bereits der französische Europastaatssekretär Clément Beaune gefordert. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian relativierte nun allerdings, dass Nord Stream 2 primär eine Frage der Energiesicherheit sei: "Man darf diese Themen nicht durcheinanderbringen."

"Sanktionen ändern nichts"

US-Außenminister Antony Blinken zeigte sich am Dienstagabend besorgt über Nawalnys Verurteilung. Man werden sich mit den Verbündeten abstimmen, "um Russland zur Rechenschaft zu ziehen", kündigte Blinken an. Der US-Außenpolitikexperte James M. Lindsay erwartet jedoch nur symbolische Maßnahmen: "Niemand macht sich Illusionen, dass diese Sanktionen etwas am Verhalten des Kreml ändern werden", zitierte ihn die APA. Die Prioritäten der US-Regierung lägen anderswo. (rio, 3.2.2021)