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Abstimmen dürfen zwar nur Clanvertreter. Doch Wahlplakate gibt es in Somalias Hauptstadt Mogadischu trotzdem.

Foto: AP / Fardi Abdi Warsame

Nicht viele Somalierinnen und Somalier können sich noch daran erinnern, jemals ihre politische Führung gewählt zu haben: Der letzte allgemeine Urnengang fand in dem ostafrikanischen Ruinenstaat vor 52 Jahren statt. Wer damals seine Stimme abgegeben hat, muss heute mindestens 70 Jahre alt sein: Doch die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Somalia bei nur 56 Jahren.

In diesem Jahr sollte es endlich wieder einmal so weit sein: Doch bereits Monate vor dem historischen Moment machten die Politiker des von unzähligen Widrigkeiten gepeinigten Staates wieder einen Rückzug. Zur Organisation einer Wahl, bei der jeder Erwachsene seine Stimme abgeben kann, fehle sowohl das Geld wie die nötigen Daten, hieß es in Mogadischu: Auch sei die Sicherheitslage in dem von islamistischen Extremisten heimgesuchten Staat viel zu prekär. Stattdessen sollen nun lediglich wieder Vertreter der mächtigen Clans zu den Urnen gehen. Sie würden dann ein Parlament auswählen, das sich später aus einer Unzahl von Kandidaten auf einen Präsidenten einigt. Erstmals sollten in dem Parlament 30 Prozent der Sitze für Frauen reserviert sein. Derzeit sind es 24 Prozent.

Aber: Ob das tatsächlich schon am Wahltermin am kommenden Montag durchgesetzt wird, ist unsicher. Ebenso wie auch das Datum der Wahl weiter in Zweifel steht.

Seuche, Plage, Terroristen

Unter widrigeren Bedingungen sind Wahlen kaum noch denkbar: Somalia wird von der Corona-Pandemie und einer Heuschreckenplage heimgesucht, die Terrorgruppe al Schabab beherrscht nicht nur weite Teile des Landes, sondern schlägt selbst in der Hauptstadt Mogadischu fast wöchentlich zu. Trotzdem zog die US-Regierung kurz vor dem Abtritt von Präsident Donald Trump schnell noch sämtliche ihrer 700 in Somalia stationierten Soldaten ab, bis Ende dieses Jahres soll auch die 20.000-köpfige Mission der Afrikanischen Union abgewickelt werden.

Mehrere somalische Provinzchefs sind mit der Abstimmung nicht einverstanden, und mit dem Nachbarland Kenia liegt Mogadischus Regierung ebenfalls im Streit. Der ursprüngliche Plan, den Urnengang bereits im vergangenen Jahr abzuhalten, wurde deshalb schnell wieder fallengelassen: Doch am 8. Februar läuft die Amtszeit des Präsidenten Mohamed Abdullahi Mohamed (alias Farmajo) aus – danach wäre seine Regentschaft illegal.

Wahl der Clan-Delegierten

Erst am Wochenende tat sich ein kleiner Lichtblick auf. In letzter Minute erklärten sich die Chefs der beiden Provinzen Puntland und Jubaland doch noch dazu bereit, den regionalen Wahlkommissionen zuzustimmen: Diese müssen jetzt gemeinsam mit den Clan-Ältesten die Delegierten bestimmen, die die Abgeordneten des Senats und des Unterhauses wählen sollen. Erst diese werden dann den Präsidenten küren – bis zum 8. Februar wird daraus jedenfalls nichts.

Kennerinnen und Kenner des Landes sind sich uneins, ob sie das Verfahren als völliges Chaos oder als den Versuch werten sollen, Staatenbildung und Demokratie den Gegebenheiten eines außergewöhnlichen Landes anzupassen. Somalia ist bekannt für seine Clanstrukturen: Deren Rivalität legte das Land in den vergangenen drei Jahrzehnten in Trümmer. Immerhin sei es den Vertretern der zersplitterten Bevölkerung gelungen, einen Fahrplan für die Wahlen zu vereinbaren, sagen Optimisten: Auch wenn der Zug schließlich etwas verspätet eintrifft.

Anschläge gegen den Urnengang

Dagegen befürchten Pessimisten, das Chaos könne am Ende noch größer sein: Anzeichen dafür gibt es viele. Die Terrorgruppe al-Schabab kündigte bereits an, den Urnengang mit einer Welle an Anschlägen zu verhindern: Somalias Sicherheitskräfte sind vom Abzug der US-Soldaten geschwächt.

Unterdessen kämpft die Zentralregierung in der Provinz Jubaland außer gegen al-Schabab auch noch gegen aufständische Milizen, die mehr Unabhängigkeit fordern: Sie würden aus dem Nachbarland Kenia unterstützt, argwöhnt die Regierung in Mogadischu und brach die diplomatischen Beziehungen zu Kenia ab. Jüngst zog auch noch Somalias nördlicher Nachbar Äthiopien sein Amisom-Kontingent ab, weil die Soldaten zu Hause im eigenen Bürgerkrieg gebraucht wurden. Unter solchen Umständen einen Lichtblick für Somalia zu sehen strapaziert den Optimismus. (Johannes Dieterich, 3.2.2021)