Ein Beispiel für Recurring Slope Lineae: dunkle Materialflüsse in der Region Coprates Chasma im Grabenbruchsystem des Valles Marineris.
Foto: NASA/JPL-Caltech/Univ. of Arizona

Seit langem rätseln Wissenschafter über ein spezielles Mars-Phänomen, nämlich die sogenannten Recurring Slope Lineae (RSL; etwa: wiederkehrende Hanglinien). Dabei handelt es sich um Fließstrukturen, die sich im Sommer regelmäßig an manchen Steilhängen ereignen. Vor allem in den äquatorialen Regionen und mittleren Breiten kommt es dabei zu Hangrutschungen.

Hypothesen mit Schwachstellen

Als Erklärung für die RSL wurden bisher zwei verschiedene Bildungsprozesse vorgeschlagen – ein "nasser" und ein "trockener": Entweder könnte Schmelzwasser aus dem Permafrostboden dafür verantwortlich sein oder es handelt sich um trockene, granulare Materialflüsse ähnlich wie auf Sanddünen. Beide Hypothesen haben jedoch ihre Schwachstellen, wie Christian Köberl, Professor für Planetare Geologie und Impaktforschung an der Universität Wien, betont.

Gegen die Schmelzwasser-Hypothese spreche, dass viele RSL in äquatornahen Gebieten auftreten, "wo es keinen oder nur wenig Permafrostboden gibt", so Köberl. Zudem würden Rutschungen nur bei Hangneigungen von über 27 Grad beobachtet, was bei Wasser als Ursache auch nicht logisch wäre. Gegen die Erklärung mit trockenen Materialflüssen würde wiederum das saisonale Auftreten der RSL sprechen. "Es lassen sich also die beobachteten Rutschungen mit keinem der beiden Mechanismen vollständig erklären", so der Experte.

Die mögliche Synthese

Im Fachjournal "Science Advances" hat Köberl nun zusammen mit einem Team um Janice Bishop vom Carl Sagan Center am SETI Institute in Kalifornien ein Hybridmodell vorgestellt, das sowohl nasse als auch trockene Bestandteile salziger Marsböden umfasst. Demnach würden Salze, vor allem Sulfate und Chloride, vorhandenes Wasser absorbieren, sich dabei ausdehnen, zerfließen und damit das Abrutschen verursachen.

"Da braucht es nicht allzuviel Wasser, da reichen dünne Wasserfilme unter der Oberfläche, um die Korngrenzen glitschig zu machen – ein ähnlicher Effekt, den man beim Salzstreuen im Winter erzielt", so Köberl. Durch die Salze kann dieser Effekt auch bei Temperaturen von rund minus 30 Grad Celsius auftreten, wie sie im Mars-Sommer üblich sind.

Blick auf die Erde

Ähnliche Prozesse haben Köberl und seine US-Kollegen in antarktischen Trockentälern beobachtet, wo sie seit Jahren chemisch die Zusammensetzung der Sedimente untersuchen. Diese eisfreien Täler zählen zu den kältesten und trockensten Regionen der Erde, deren Oberfläche fast das ganze Jahr über trockenen Winden ausgesetzt ist. Das sind sehr ähnliche Bedingungen wie auf dem Mars – "und es sieht dort auch so aus", erinnert sich Köberl an seinen Antarktis-Aufenthalt.

Trotz der Trockenheit enthält der Permafrostboden in den McMurdo-Trockentälern in der Ostantarktis Wassereis, das in Verbindung mit starken Konzentrationen von Sulfaten und Chloriden dünne Wasserfilme bilden kann. In der Folge kommt es zur chemischen Verwitterung knapp unter der Oberfläche und Hangrutschungen. "Wir haben in den antarktischen Trockentälern auch entsprechend hohe Salzkonzentrationen entdeckt", so Köberl.

Ergänzende Laborversuche

Die Forscher stützen sich bei ihrer Hypothese auch auf Laborexperimente, in denen sie zeigten, dass die Salze dünne, bewegliche Filme aus matschigem Wasser bildeten. Diese können sich über längere Zeiträume auf dem Mars ausdehnen und zusammenziehen, wodurch die fragilen Oberflächen geschwächt werden und es schließlich zu Rutschungen kommt. Ähnliche Prozesse, bei denen Salze mit Gips und Wasser im Untergrund interagieren und Störungen an der Oberfläche verursachen, bis hin zu Kollapserscheinungen und Erdrutschungen, kennt man auch vom Toten Meer in Israel und dem Salar de Pajonales in der Atacama-Wüste in Chile.

Für Köberl ist diese Arbeit ein wichtiges Beispiel dafür, dass man geologische Untersuchungen auf der Erde auf andere erdähnliche Planeten anwenden kann, und umgekehrt. "Geologische Prozesse finden in ähnlicher Weise auf den verschiedensten Körpern unseres Sonnensystems statt", so der Wissenschafter. (APA, red, 8. 2. 2021)