Das Militär hat die De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und zahlreiche ranghohe Mitglieder der zivilen Regierung festnehmen lassen.

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Naypyidaw – Die neue Militärführung in Myanmar (Burma) will sich offenkundig nicht mit der bloßen Machtübernahme begnügen. Sie will auch die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi nach deren Festsetzung anklagen, wie am Dienstag bekannt wurde.

Der Grund der Anklage mutet dabei etwas skurril an. Ein Mitglied der Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD), die Suu Kyi führte, schrieb am Mittwoch auf Facebook, die 75-Jährige solle wegen Verstößen gegen die Import-Export-Gesetze des Landes zur Verantwortung gezogen werden. Bei einer Hausdurchsuchung seien Walkie-Talkies in Suu Kyis Haus gefunden worden. Es werde geprüft, ob diese womöglich illegal ins Land gebracht worden seien.

Auch eine Corona-Anklage

Auch Staatspräsident Win Myint soll dem NLD-Mitglied zufolge in Zusammenhang Verstößen gegen die Corona-Auflagen angeklagt werden. In sozialen Netzwerken hatte es zuvor zahlreiche Berichte gegeben, wonach die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi wegen Hochverrats vor Gericht gestellt werden sollte. Diese wurden aber nicht bestätigt – ebenso wenig ist offiziell bestätigt, dass es die beiden Anklagen gegen Suu Kyi und Myint tatsächlich in dieser Form geben wird. Die Junta gab nämlich vorerst keinen Kommentar ab.

Mratt Kyaw Thu, ein Journalist aus Myanmar, teilte allerdings im Internet Kopien von Schriftstücken der Polizei, in denen Einzelheiten zu den Anklagen angeführt sind. Demnach soll Suu Kyi bis zum 15. Februar festgehalten werden, damit Ermittlungen durchgeführt werden können.

Lage in Myanmar unklar

Die Lage bleibt unklar, der Informationsfluss aus dem Land ist schwierig. Das neue Informationsministerium warnte die Bürger und die Medien in einer Mitteilung davor, in sozialen Netzwerken "Gerüchte zu verbreiten", die möglicherweise zu Unruhen führen könnten. Dazu zählen aus Sicht der Junta offensichtlich auch Berichte der NLD über landesweite Razzien in ihren Büros am Dienstag. Die Sicherheitskräfte hätten sich gewaltsam Zutritt verschafft sowie Dokumente, Computer und Laptops beschlagnahmt.

Das Militär im Land hatte sich in der Nacht auf Montag zurück an die Macht geputscht. Just an dem Tag, an dem das neu gewählte Parlament zu seiner ersten Sitzung hätte zusammenkommen sollen. Suu Kyis Partei hatte im November einen erdrutschartigen Wahlsieg errungen, den das Militär aber nicht anerkennt. Die Abstimmung war erst die zweite freie und faire Wahl seit dem Ende der direkten Militärherrschaft im Jahr 2011.

Bürgerinnen und Bürger in zahlreichen Landesteilen, die von Minderheiten bewohnt werden, hatten nicht abstimmen dürfen – was auch international kritisiert wurde. Die Armee hatte allerdings nicht diesen Punkt als Anlass für ihre Einwände genommen, sondern den ungewöhnlich klaren Sieg Suu Kyis in jenen Gebieten, die von der Mehrheit der Birmanen bewohnt werden.

Reaktionen aus dem Ausland

Die frühere Freiheitsikone Suu Kyi und dutzende andere Politiker wurden im Zuge der Machtübernahme unter Hausarrest gestellt. Die Streitkräfte verhängten zudem einen einjährigen Ausnahmezustand über das südostasiatische Land mit seinen knapp 54 Millionen Einwohnern. Die Flughäfen wurden gesperrt. Am Dienstag stellte die Armee ihr neues Kabinett vor, bestehend aus Generälen, ehemaligen hochrangigen Soldaten und Politikern einer vom Militär gestützten Partei.

Die genauen Hintergründe des Putsches sind noch unklar. Viele Beobachterinnen und Beobachter sehen auch eine Rolle der Geopolitik. China werden dabei Vorwürfe gemacht, den Putsch in Myanmar unterstützt oder angeleitet zu haben – insbesondere deshalb, weil Myanmar in der Strategie der neuen Seidenstraße wegen des Meereszugangs eine Schlüsselrolle zukommt. Peking allerdings bestreitet das. Als Nachbarland wünsche man sich, dass alle Differenzen gelöst und die "politische und gesellschaftliche Stabilität gewahrt bleibt", so ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Außerdem ist völlig unsicher, ob die Armee – die Myanmars Unabhängigkeit stark betont – China wirklich freundlicher gegenübersteht, als Suu Kyi das getan hatte. Sie hatte im Jänner 2020 noch Chinas Präsiden Xi Jinping in der Hauptstadt Naypyidaw empfangen, was unter den Generälen nicht durchwegs begrüßt wurde.

Sanktionsdrohung der USA

Zudem hatte es an Suu Kyi zunehmend auch internationale Kritik gegeben. Während des völkermordartigen Vorgehens der Armee gegen die muslimische Rohingya-Minderheit hatte auch sie die Armee nicht kritisiert. Vielfach war damals vermutet worden, sie habe dies aus Angst um ihr Amt getan. Allerdings gibt es auch andere Vorwürfe. In einer Analyse der "New York Times" war am Dienstag zu lesen, viele Analystinnen und Analysten würden vermuten, auch Suu Kyi verfolge in Wahrheit keine Politik des Ausgleichs zwischen den Volksgruppen, sondern arbeite auf eine dominante Stellung der Birmanen hin. Auch habe sie in ihrem Regierungswirken weniger auf Frieden mit anderen Volksgruppen hingearbeitet, als man dies vor ihrem Amtsantritt gehofft habe.

Die USA und die EU drohen nun jedenfalls mit Sanktionen. Der UN-Sicherheitsrat in New York konnte sich am Dienstag aber zunächst nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen. Die sieben führenden Industriestaaten (G7) verurteilen hingegen am Mittwoch gemeinsam den Militärputsch. Die G7-Außenminister von Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und den USA sowie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärten, sie seien einig in ihrer Verurteilung des Putsches. "Wir rufen das Militär auf, sofort den Ausnahmezustand zu beenden, die Macht der demokratisch gewählten Regierung wiederherzustellen und die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren." Das Ergebnis der Parlamentswahl vom November müsse geachtet werden, und das Parlament müsse sich so rasch wie möglich konstituieren. (APA, mesc, 3.2.2021)