Den Besuch von Kulturveranstaltungen hält Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler auch ohne Tests für möglich – der Bund bisher nicht.

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Kulturpolitiker hätten angesichts der Verwerfungen der Corona-Krise derzeit den Status einer Klagemauer, sagt die für Wien zuständige Veronica Kaup-Halser und fordert mehr fächerübergreifende Initiativen von Politik und Branche. Letzte Woche hat die Stadt ein Hilfspaket von einer Million Euro für die Programmkinos bekanntgegeben. Ein Gespräch über Filmpolitik und Öffnungsperspektiven für die Kultur.

STANDARD: Europaweit sind die Verluste der Kulturbranche enorm. Warum gelingt es der Kulturpolitik trotz der enormen Wertschöpfung in diesem Sektor nicht, genügend Widerhall zu erzeugen?

Kaup-Hasler: Ein Investment von Millionen Euro in Kino und Film kann man sehr wohl als gelungene Kulturpolitik beschreiben. Ein Problem ist allerdings, dass sich die Kulturszenen untereinander nicht genug solidarisieren. Jeder hat das Gefühl, allein zu sein, jeder Teil kämpft für sich. Es wäre wichtig, dass sich alle Akteure als Gemeinschaft begreifen und Druck auf die Öffentlichkeit ausüben. Ich könnte mir viele Formen der Bewusstmachung vorstellen. Man könnte auch gemeinsam in Medien auf sein Anliegen aufmerksam machen.

STANDARD: Bei der nun beschlossenen Corona-Hilfe für die Kinos verhält sich das anders. Die IG Programmkino hat ganz solidarisch auch Hilfe für kommerzielle Häuser gefordert, nun werden aber nur Programmkinos von der Stadt unterstützt.

Kaup-Hasler: Es werden jene Kinos unterstützt, für die ich als Kulturstadträtin zuständig bin und die auch eine Förderung von der Kulturabteilung erhalten. Der Vorschlag für diese besondere, einmalige Unterstützung kommt von der Szene selbst. Natürlich könnte man die Kinohilfe größer denken und auf große, rein kommerzielle Player ausweiten, aber da ist vor allem der Bund gefordert. Hier muss es auch ein fachübergreifendes Denken geben: Man müsste mit den jeweiligen Partnern in der Wirtschaft Allianzen suchen. Ich kann im Kulturressort der Stadt nur das mir Mögliche machen und die besonders vulnerablen Institutionen unterstützen.

STANDARD: Die Programmkinos werden also zuerst geimpft?

Kaup-Hasler: Wir haben uns auch schon der Kabarettbühnen und der Klubkultur angenommen. Das ist neu. Normalerweise sind das Bereiche, die an der Schnittstelle von Kunst und Kommerz agieren. Wenn die Programmkinos zusperren, dann zieht dort der nächste Supermarkt ein. Es ist natürlich immer schwierig, alle ins Boot zu holen, man muss eine Prioritätenliste erstellen.

Das Gartenbaukino wird heuer generalsaniert.
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STANDARD: Das Gartenbaukino, das bereits gesondert gefördert ist, wird nun mit zwei Millionen Euro Subvention renoviert. Das finden nicht alle verhältnismäßig.

Kaup-Hasler: Das Geld kommt ausschließlich der längst fälligen Generalsanierung zugute. Das Gartenbaukino ist ein Unikat als denkmalgeschützter Ort und hat gemeinsam mit dem Stadtkino einen speziellen Status. Ich möchte Kinos haben, die befreit vom Sog des Mainstreams Weltkino und auch den österreichischen Film zeigen. Ich erwarte mir da eine Herausforderung im Thematischen, eine Loslösung von den Zwängen der Quote. Aber wir können nicht alle Programmkinos zu städtischen Kinos machen.

STANDARD: Nochmals: zwei Millionen angesichts einer Corona-Hilfe von einer Million?

Kaup-Hasler: Das ist kein zulässiger Vergleich. Das eine ist die Renovierung eines Gebäudes, die seit Ewigkeiten ansteht. Das kostet leider. Das andere sind Subventionen für den Betrieb.

STANDARD: Ein Blick in die Zukunft: Der deutsche Festivalleiter Lars-Henrik Gass fordert eine Musealisierung des Kinos. Man müsse von einer inhaltsorientierten in eine stärker strukturorientierte Förderung wechseln, um die Häuser als Orte der Filmkultur zu erhalten.

Kaup-Hasler: Natürlich hat die Corona-Krise Entwicklungen vorangetrieben, die sich schon länger im Kinobereich abzeichnen. Streamingangebote verändern zunehmend die Branche. Man muss jetzt darüber nachdenken, welche veränderte Rolle Kino und Filmkultur spielen sollen. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass künstlerisches Filmschaffen nach wie vor in der Öffentlichkeit präsent bleibt. Über den Begriff des Museums müsste man noch nachdenken, Kinos sind auch als Bildungseinrichtungen gefordert, sie müssen sich anders aufstellen und mehr tun, um ihr Publikum zu generieren.

STANDARD: Das würde wohl eine kräftige Erhöhung der Förderung erfordern – noch ein Vergleich: 40 Millionen Euro fließen in die Vereinigten Bühnen, die nicht nur elitäres Programm liefern.

Kaup-Hasler: Da muss man den Ball flach halten und erstmals die unterschiedlichen Arbeitsweisen in den künstlerischen Feldern analysieren. Die Vereinigten Bühnen umfassen eine Oper und zwei Musicalhäuser, die sehr einnahmenseitig funktionieren und als darstellende Kunstform immer kostenintensiv sind. Aber das ist eine andere Debatte. Wir müssen jetzt aber unbedingt das Augenmerk auf die Entwicklungen im Kinobereich haben.

STANDARD: Die Leitung des Filmfonds Wien wird gerade ausgeschrieben. Wird man auch über eine konsequentere Quote bei der Fördermittelvergabe reden?

Kaup-Hasler: Wir widmen uns diesem Thema. Doch man muss diese Frage differenziert, nicht mit dem Hammer behandeln. Es ist wichtig, die unterschiedlichen künstlerischen Positionen, die an einem Film beteiligt sind, nicht nur die Regie, mit zu berücksichtigen. Alles andere finde ich problematisch.

STANDARD: Der nächste Gender-Report für den Film wird dieses Jahr erwartet. Sollte sich da erneut zeigen, dass im hochbudgetierten Bereich viel weniger Frauen zum Zug kommen, bestünde dann nicht Handlungsbedarf?

Kaup-Hasler: Gerade im TV-Bereich, wo viel Geld etwa in Dokumentationen und Vorabendserien fließt, hat der Filmfonds Wien eine Vorreiterrolle in Österreich inne, indem er 2015 eine Quote für Regie, Produktion oder Drehbuch eingeführt hat. Das hat erfreulicherweise schon sehr viel verändert. Im künstlerischen Bereich ist auch die Frage relevant, wie viele Frauen in der Filmakademie im Verhältnis zu Männern den Abschluss machen. Das ist ein Feld, das wächst.

STANDARD: Kommen wir zu den Öffnungen: Halten Sie die Testpflicht beim Besuch von Kulturveranstaltungen für unerlässlich?

Kaup-Hasler: Die Stadt kann die Verordnungen des Bundes nur verschärfen, nicht lockern. Ich bin im ständigen Dialog mit medizinischen Experten – viele finden, dass Abstand-Halten, FFP2-Masken und erprobte Sicherheitskonzepte ausreichend wären. Wenn wir Tests machen müssen, dann macht das virologisch aber nur am selben Tag Sinn. In Wien sind wir dafür mit der nötigen Infrastruktur gut vorbereitet.

STANDARD: Wäre es bei regionalen Unterschieden, also einer geringeren Inzidenz in Wien, nicht sinnvoll, auf eine kulturelle Ausnahme zu pochen? Wie in Spanien, wo man für Kulturbesucher etwa längere Ausgangszeiten durchgesetzt hat.

Kaup-Hasler: Das tun wir die ganze Zeit. In Wien stünde die Ampel schon seit fünf Wochen auf Orange, aber sie hat bislang keinerlei Bedeutung für das politische Handeln. Man muss das in der Öffentlichkeit einfordern. Bei aller berechtigten Sorge über Virus-Mutationen müssen wir auch den Schaden, der bei den Menschen wirtschaftlich und seelisch entsteht, berücksichtigen. Wir müssen den Kollateralschaden ernst nehmen und an Zukunftsperspektiven arbeiten.

STANDARD: Wie sieht die Situation für die Wiener Festwochen aus? In Leipzig wurde die Buchmesse im Mai bereits abgesagt.

Kaup-Hasler: Ich gehe hoffnungsfroh davon aus, dass die Festwochen stattfinden. Wir haben im September gezeigt, dass Kultur möglich ist – damals entstand kein Cluster. Wir planen einen dritten Gipfel, bei dem wir uns mit Spitzen aus Medizin und allen Kulturdisziplinen über Perspektiven und Planbarkeit austauschen werden. Es geht ja auch darum, das Publikum wieder zum Kulturbesuch zu animieren. Geschäftsführer müssen davon entbunden sein, nur einnahmenseitig zu denken, denn das wird nicht möglich sein. (Dominik Kamalzadeh, 4.2.2021)