Das Naturparadies Barro Colorado Island in Panama ist nur jener Teil des ursprünglich riesigen Tropenwaldgebietes, der nicht unter einem riesigen Stausee verschwand.
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Im vergangenen Jahr fiel der Welterschöpfungstag Corona-bedingt erst auf den 22. August. Bis zu diesem Datum hat die globale Bevölkerung gebraucht, um alle natürlichen Ressourcen zu konsumieren, die sich innerhalb eines Jahres regenerieren könnten. Ähnlich "lange" hat es das letzte Mal vor 15 Jahren gedauert, seither ist der Earth Overshoot Day schrittweise bis in den Juli gerutscht. Der "Living Planet Report", der alle zwei Jahre vom WWF und der Zoological Society of London herausgegeben wird, und der "Globale Waldzustandsbericht 2020" der UN-Agrarorganisation Fao zeichnen ein ähnlich düsteres Bild vom Zustand der Natur.

An Bestandsaufnahmen und Inventuren, an Warnungen und Zahlenwerken mangelt es also nicht, um zu illustrieren, dass die Erde ein Massenaussterben erlebt und, vom Klimawandel angefeuert, Ökosysteme in hohem Tempo vernichtet werden. Aber nachdem unsere Natur das Opfer einer außer Rand und Band geratenen Ökonomie ist, mag vielleicht auch eine wirtschaftliche Perspektive besser aufzuzeigen, in welche Sackgasse die menschliche Zivilisation gerade rast.

Drastische Zahlen

Der aktuelle Dasgupta-Report, eigentlich "The Economics of Biodiversity: The Dasgupta Review", rechnet vor, welchen wirtschaftlichen Schaden eine nicht auf Nachhaltigkeit bedachte globale Ökonomie erleidet. Der federführend von Partha Dasgupta, emeritierter Professor für Ökonomie an der University of Cambridge, und im Auftrag der britischen Regierung am Dienstag präsentierte Bericht spart nicht mit anschaulichen Beispielen: So würden jedes Jahr weltweit rund 500 Milliarden US-Dollar für die Umweltzerstörung – etwa in Form von staatlichen Zuschüssen für fossile Kraftstoffe, für Landwirtschaft und Fischerei – ausgegeben.

Der britische Wirtschaftswissenschafter Partha Dasgupta vom St John's College der University of Cambridge bezieht die von der Natur erbrachten Leistungen in ökonomische Bilanzen und Finanzmodelle ein.
Foto: University of Cambridge

Dem stehen allerdings vier bis sechs Billionen US-Dollar gegenüber – das ist der finanzielle Schaden, der durch die Naturzerstörungen mit Subventionshilfe entsteht. Um andererseits die Natur zu schützen, wird deutlich weniger Geld in die Hand genommen. Diese Ausgaben belaufen sich jährlich weltweit auf 78 bis 143 Milliarden Dollar oder 0,1 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Das große Problem sei, dass unsere Wachstums- und Entwicklungstheorien die Abhängigkeit des Menschen von der Natur nicht berücksichtigen, meint der Wirtschaftswissenschafter. Natur sei mehr als ein bloßes Wirtschaftsgut, sie habe auch einen "Eigenwert", und dieser müsse in ein neues Wirtschaftsdenken einfließen, so Dasgupta.

Radikales Umdenken

Wenn das tatsächliche Ziel ein nachhaltigerer Umgang mit der Natur sein solle, bedürfe es freilich großer Anstrengungen, im Grunde brauche es ein völliges Umdenken. Dasgupta spricht von einem "Marshallplan" für die Biodiversität und schlägt mehrere Strategien vor, mit deren Hilfe man dieses Ziel erreichen und gleichzeitig den Wohlstand erhalten könnte.

Ganz zentrale Punkte nehmen dabei die Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs und die langfristige Reduzierung der Weltbevölkerung durch früh beginnende Bildungsinitiativen und moderne Familienplanung ein. Die Bereitstellung von Dienstleistungen und Gütern müsste effizienter und die verbleibenden Ökosysteme sollten strenger geschützt werden.

Video: The Economics of Biodiversity – the Dasgupta Review.
The Royal Society

Veränderter Markt

Letzteres sei gegenüber der Renaturierung zumindest vorerst zu bevorzugen, da kostengünstiger. Das 30-30-Ziel der EU, wonach 30 Prozent der Erdoberfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden sollen, wäre laut Dasgupta ein guter Anfang. Wirtschaftsstarke Staaten sollten künftig die Interessen der Natur durch Gesetze, Subventionen und strengere Reglementierungen wirkungsvoller vertreten. Vor allem aber sollte sich der Verbrauch an Naturkapital in den Marktpreisen für Güter und Dienstleistungen wiederfinden.

Schließlich schlägt der Ökonom vor, das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für den Wirtschaftserfolg aufzugeben, und zwar zugunsten des sogenannten "inklusiven Wohlstands", der auch den Wert des Naturkapitals in der Bilanz berücksichtigt. Geschieht dies nicht, sondern verfallen die natürlichen Systeme weiterhin so rasant, verliert die Erde allmählich ihre Fähigkeit, den Menschen zu erhalten. "Man darf nicht vergessen, die Güter und Dienstleistungen der Natur sind die Grundlage unseres Wirtschaftens", warnt Dasgupta. (Thomas Bergmayr, 4.2.2021)