Das Image der "Kunstfigur" Manson sollte man außen vor lassen und sich stattdessen auf die Worte und Taten des Musikers konzentrieren.

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Opfer sexueller Gewalt können oft jahrelang nicht über ihre traumatischen Erlebnisse sprechen. Oftmals aus Scham, weil sie sich selbst für das, was ihnen widerfahren ist, verantwortlich fühlen. Oftmals aus Angst vor einer möglichen Vergeltung durch die Täter. Es sollte nicht verwundern, dass die amerikanische Schauspielerin Evan Rachel Wood, bekannt aus der Serie Westworld, zehn Jahre brauchte, um den Namen jenes "gefährlichen Mannes", wie sie ihn bezeichnet, der sie innerhalb einer Beziehung unter Drogen gesetzt, misshandelt und vergewaltigt haben soll, zu nennen: Marilyn Manson.

Wood und der sogenannte "Schockrocker" Manson, bürgerlich Brian Hugh Warner, lernten einander kennen, als sie 18 und er 36 war. Sie führten von 2007 bis 2010 eine Beziehung, waren kurz verlobt. Während dieser Beziehung soll es, wie Wood am Montag in einem Instagram-Post öffentlich machte, zu physischem, psychischem und emotionalem Missbrauch gekommen sein.

Schockierendes Zeugnis

Bereits 2019 hatte Wood, um eine Gesetzesänderung namens Phoenix Act zu unterstützen, der die Verjährungsfrist für häusliche Gewalt verlängern sollte, vor dem kalifornischen Senat ein schockierendes Zeugnis von einer schrecklichen Gewalt, die ihr während einer Beziehung widerfahren sein soll, abgelegt. Damals noch, ohne den Namen des Täters zu nennen. Doch da es sich um eine Beziehung handelte, die sie, wie sie dort sagte, im Alter von 18 Jahren führte, wurde bereits angenommen, dass sie mit dem Täter nur Manson meinen konnte. Sie erzählt detailliert von konstanter Überwachung, Gaslighting – also die gezielte Verunsicherung des Gegenübers bis zum Realitätsverlust –, Suiziddrohungen des Mannes, falls sie ihn verlassen würde, Morddrohungen gegen sie und ihre Familie, Folter und Vergewaltigung.

Wood berichtet von konstanter Überwachung, Morddrohungen gegen sie und ihre Familie, Folter und Vergewaltigung.
#IAmNotOk Hashtag

Als sie am Montag öffentlich machte, dass es sich um Manson handelte, sprachen sich auch vier weitere Frauen gegen den Musiker aus und berichteten von Ähnlichem. Auch ein ehemaliger persönlicher Assistent Mansons, Dan Cleary, bezeugt die Gewalt gegen Wood und spätere Freundinnen des Musikers.

Es ist dabei nicht das erste Mal, dass es Vorwürfe gegen Manson gibt, die in diese Kerbe schlagen. Bereits 2018 kam es zu einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs, der 2011 stattgefunden haben soll, das von der Staatsanwaltschaft aber eingestellt wurde. Wann immer Vorwürfe gegen Manson laut wurden, bestritten er und seine Sprecher deren Wahrheitsgehalt. Auch jetzt weist Manson in einem Statement die Vorwürfe Woods und jene der anderen Frauen zurück. Seine romantischen Beziehungen seien immer im beiderseitigen Einverständnis geführt worden, sagt er. Obwohl juristisch gesehen die Unschuldsvermutung gilt, hat Mansons Label Loma Vista sofort die Zusammenarbeit mit Manson aufgekündigt; aus mehreren TV-Produktionen, an denen er beteiligt war, wurde er entfernt.

Die falschen Schlüsse

Was unterscheidet nun aber die öffentliche Diskussion um diese Anschuldigungen von jener um die Vorwürfe einer Amber Heard gegen den Schauspieler Johnny Depp, einer FKA Twigs gegen Shia LaBeouf?

Es ist das Image der "Kunstfigur" Manson. Natürlich geht es auch um Fakten: Grauenhafte Äußerungen Mansons werden nun wieder aus dem Archiv geholt. So fantasierte er in einem Interview nach der Trennung von Wood darüber, "ihr den Kopf mit einem Vorschlaghammer einzuschlagen". Auch in seiner 1998 erschienenen Autobiografie The Long Hard Road Out of Hell ergibt sich ein schauderhaftes Bild dessen, wie Manson Frauen und Menschen generell behandelt. Ein Bild, das zeigt, dass er kein Bewusstsein für das Machtgefälle zwischen einflussreichem Künstler und (weiblichem) Fan zu haben scheint.

Psychopathen erkennt man nicht an umgedrehten Kreuzen

Diese jetzt auf allen Kanälen betriebene "Wiederentdeckung" des Monsters Manson hat ihre Berechtigung, wenn sie dazu dienen soll, ein System zu entlarven. Doch wurzelt sie zu oft in einer hochproblematischen Oberflächlichkeit, die sich im schlimmsten Fall wieder nur gegen die Opfer richtet: Denn der implizite und in sozialen Medien oftmals durchaus explizite Vorwurf an Wood lautet, dass man sich nicht zu wundern brauche, wenn jemand, der in seiner Kunst Gewalt oder Devianz verherrliche, auch privat kein süßer Knopf sei.

Dabei sollte hinlänglich bekannt sein, dass es keinen klassischen "Typ" Vergewaltiger, Mörder oder Psychopath gibt, der sich an Gesichtsbemalung oder umgedrehten Kreuzen erkennen ließe. Es liegt nicht in der Verantwortung von Frauen, sich nicht vergewaltigen zu lassen. Es liegt in der Verantwortung von Männern, es nicht zu tun. Schockrocker oder nicht. (Amira Ben Saoud, 3.2.2021)