Es ist so etwas wie eine öffentliche Unterwerfungsgeste. Die Grünen akzeptieren die Machtverhältnisse und den damit verbundenen Machtanspruch der ÖVP. Sebastian Kurz hat sie vorgeführt – und dennoch können sich die Grünen nicht aufraffen, dem Koalitionspartner ein Zeichen zu geben, dass sie nicht alles hinnehmen wollen.

Die Grünen werden also weiterhin beleidigt schauen, wenn Kinder, die in Österreich geboren wurden und hier zu Hause sind, in der Nacht von der Polizei abgeholt und außer Landes gebracht werden. Parteichef Werner Kogler wird weiterhin grantig sein, wenn Innenminister und Parlamentspräsident erklären, dass nur die Mutter, die ihren Kindern ein besseres Leben bieten wollte, schuld an der Abschiebung sei. Mehr wird offenbar nicht passieren.

Vizekanzler und Parteichef der Grünen Werner Kogler.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Die Grünen nehmen hin, dass sie in Fragen des Asylrechts, des Bleiberechts, der Integrationspolitik und der Menschenrechte nichts zu sagen haben. Das war an sich immer klar, das hatte ihnen Sebastian Kurz in den Koalitionsverhandlungen auseinandergesetzt. Die Grünen hatten dies akzeptiert. Dennoch war die Erwartung eine andere, kommt die Realität überraschend klar daher.

Grüne Abgeordnete geben ihre Gesinnung und ihren Anspruch an der Garderobe des Parlaments ab, wenn sie Anträge, die gegen die Abschiebung von Kindern und für ein humanitäres Bleiberecht eintreten, ablehnen. Sie tun dies aus Koalitionsräson. Weil sie in der Regierung und an der Macht bleiben wollen. Wozu? Damit vielleicht irgendwann ein günstiges 1-2-3-Ticket umgesetzt wird?

Und ist es unfair, die Grünen für die Abschiebungen zu kritisieren, wenn eigentlich die Türkisen die Bösen sind?

Harte Linie

Von der ÖVP hatte man nichts anderes erwartet. Kurz hat mit seinem rigiden Kurs in Flüchtlingsfragen Wahlen gewonnen. Eine harte Linie gegen Ausländer ist Kern seines Programms.

Von den Grünen hatte man etwas anderes erwartet. Dass sie mit ihrer Regierungsbeteiligung diesen Kurs aufweichen, dass sie Anstand über strategisches Kalkül setzen, dass ihnen Moral wichtiger ist als Macht. Die Grünen sind nicht nur eine Umweltpartei, sie stehen auch für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit.

Nun tritt die Ernüchterung ein: bei den Grünen selbst, die in der Regierung erkennen müssen, dass sie nichts bewegen können, dass sie der ÖVP ausgeliefert sind, dass sich zum Scheitern gerne auch die Demütigung gesellt. Und bei ihren Wählern und Sympathisanten, die erkennen müssen, wie Realpolitik funktioniert, dass Versprechen in der Politik nicht immer eingelöst werden.

Das ist ein nachhaltiger Erklärungsnotstand für die Grünen: Im Parlament gegen einen Antrag zu stimmen, der zu hundert Prozent auf ihrer Linie liegt und den sie im Gemeinderat in Wien schon unterstützt hatten, nur um der ÖVP ihre Pakttreue zu versichern – das ist schwer zu kommunizieren. Dass der Antrag prinzipiell nichts bewirkt, ist ein schwaches Argument. Mit dieser Begründung hätte man ihm auch zustimmen können.

Letztlich geht es in dieser Frage auch um die Symbolik: Wofür stehen die Grünen, wofür steht die ÖVP? Die ÖVP kann das leicht beantworten. Die Grünen können das nicht. Da tut sich der eine und die andere Abgeordnete vielleicht doch schwer, nach dieser Parlamentssitzung in den Spiegel zu blicken, seinen oder ihren Wählern gegenüberzutreten.(Michael Völker, 4.2.2021)