Ein Wahlsieg allein wäre für Israels Premier Benjamin Netanjahu nicht genug: Um regieren zu können, braucht es willige Koalitionspartner, nach denen er an den Rändern des politischen Spektrums sucht.

Foto: APA / AFP / YONATHAN SINDEL

Es klang wie das Teesortiment im Esoterikgeschäft: "Neue Hoffnung", "Schwung" und "Licht des Tagesanbruchs" sind nur drei der Namen, die in den vergangenen Wochen am israelischen Parteienhimmel aufpoppten. Es ist zwar schon die vierte Wahl binnen zwei Jahren, aber immerhin, fad ist sie nicht. Donnerstagabend endete die Frist für Bewerber, um Listen für den Urnengang am 23. März abzugeben. Bis zuletzt wurde gefeilscht wie am Transfermarkt: Wer spielt wo, wer qualifiziert sich, welche Kleinparteien tun sich zusammen?

Messerwetzen der Egos

Dabei steht viel auf dem Spiel. Wer ein Wahlbündnis bildet, muss sich mühevoll ausschnapsen, wer welchen Platz auf der Kandidatenliste bekommt – ein Messerwetzen der Egos. Wer sich das ersparen will und allein antritt, riskiert aber, am Einzug ins Parlament zu scheitern. Dann ist viel Geld, Zeit und Kraft verpufft, die Stimmen für diese Liste fallen den Großparteien zu.

Aber gibt es diese Großparteien überhaupt? Die einzige Liste, die diesen Namen verdient, ist die Likud-Partei von Premier Benjamin Netanjahu. Er schafft es trotz Covid-19-Krise und Korruptionsanklage auch diesmal, alle Umfragen anzuführen. Um an der Macht zu bleiben, reicht ein Sieg aber nicht: Er braucht Koalitionspartner. Hier hat es nach den letzten drei Wahlen geknirscht, nun wird es nicht einfacher.

Blau-Weiß zu Tode umarmt

Netanjahu hat es zwar geschafft, seinen großen Rivalen bei den letzten Wahlgängen, Benny Gantz vom Bündnis Blau-Weiß, zu Tode zu umarmen. Gantz hatte noch vor der letzten Wahl im März 2020 geschworen, niemals mit Netanjahu zu koalieren. Dann kam Corona. Netanjahu setzte Charme, Taktik und TV-Ansprachen ein, um Gantz zu bezirzen, in eine "Corona-Notfallsregierung" einzutreten. Dass Gantz schließlich nachgab, kostete ihn alles: Blau-Weiß ist zerbröselt, Funktionäre liefen ihm davon, die Wähler werden es ihnen gleichtun: Laut einer aktuellen Umfrage würde die Regierungspartei nicht einmal den Einzug ins Parlament schaffen.

Nun gibt es aber mit Gideon Saar einen neuen Rivalen – diesmal aus dem eigenen, also dem rechten Lager. Der frühere Likud-Minister hätte Netanjahu gern als Parteichef abgelöst, nur wollte das die Basis nicht, also suchte er sich seine eigene Basis und gründete die "Neue Hoffnung". Ein Parteiprogramm gibt es nicht, dafür einige bekannte Gesichter. Das scheint zu reichen, um in Umfragen auf dem dritten Platz hinter Likud und der Mitte-links-Partei "Es gibt eine Zukunft" von Yair Lapid zu landen. Beide Parteichefs, Saar und Lapid, wollen mit Netanjahu nicht koalieren.

Der Likud-Chef braucht also andere Willige. Er sondierte in diversen Nischen, teils mit Erfolg. So gewann er jüngst zwei Rechts-außen-Parteien als Verbündete. Auch die israelischen Araber, bis dato Netanjahus wahlplakatiertes Feindbild, werden diesmal umgarnt. Netanjahu trat in Nazareth auf, gewann einen arabischen Abgeordneten dazu, sich mit seiner Liste vom arabischen Wahlbündnis abzuspalten. Und am Donnerstag versprach er ein Sonderbudget, um die Mafia in arabischen Gemeinden zu zerschlagen.

Wunsch nach Integrität

Gespalten ist auch die Linke, in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit. Ausgerechnet die totgesagte Arbeiterpartei könnte zur aufstrebenden Kraft werden. Zu verdanken ist das der früheren Journalistin Merav Michaeli. Die 54-jährige Feministin hat auch den beliebten Langzeitbürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai, in den jüngsten Umfragen an die Wand gespielt. Das liege weniger an ihren Inhalten, sondern an ihrer geradlinigen, regierungskritischen Haltung, sagt Politologe Alon Yakter von der Tel Aviv University zum STANDARD. Während zwei ihrer Parteikollegen Ministerämter in Netanjahus Kabinett angenommen hatten, war Michaeli auf Distanz gegangen. Nach dem gefühlten Verrat durch Benny Gantz "wollen die Mitte-links-Wähler keine Superstars".

Ob die Wahl dem Anti-Netanjahu-Lager eine Mehrheit bringt, ist zu bezweifeln. Denkbar ist eine Neuauflage mit Netanjahu und Unterstützung der Ultraorthodoxen. Am wahrscheinlichsten ist laut Experten jenes Szenario, das linken wie rechten Israelis Magensausen beschert. "Es wird wohl in absehbarer Zeit eine fünfte Wahl geben", sagt Gideon Rahat vom Israel Democracy Institute zum STANDARD. "Wir sehen zwar andere Schauspieler. Aber sie spielen dieselbe Szene." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 5.2.2021)