"Wir teilen die Empörung", sagte die grüne Klubchefin Sigrid Maurer bezüglich der Abschiebungen. Ihr Parteikollege David Stögmüller kritisierte den Innenminister.

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Am Mittwoch hatte es noch so ausgeschaut, als ob die Grünen den Aufstand gegen die ÖVP proben würden. Am Donnerstag war alles wieder anders, die Grünen sind brav auf Kurs. Und sie stimmen im Parlament gegen jene Anträge der Opposition, in denen ein humanitäres Bleiberecht und die Rückholung der abgeschobenen Kinder gefordert werden. Der Koalitionsfrieden ist damit gerettet.

Ob man jemals wirklich ernsthaft das Gegenteil erwartet hat, fragt eine grüne Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand. Sie offensichtlich nicht. Der mögliche Koalitionsbruch mit der Kanzlerpartei im Streit um zwei abgeschobene Schülerinnen und ihre Familien wurde vom Juniorpartner schon abgebrochen, bevor es im Nationalrat am Donnerstagnachmittag wirklich brenzlig werden konnte. "Der grüne Klub wird nicht für einen folgenlosen Entschließungsantrag stimmen, der ohnehin keine Mehrheit erreicht", erklärte Maurer. Die Anträge, die nach Georgien und Armenien abgeschobenen Mädchen wieder zurückzuholen, wertet Maurer als Versuch der SPÖ, "parteipolitisches Kleingeld zu wechseln".

Das ist insofern pikant, als die Grünen im Wiener Gemeinderat einen gleichlautenden Antrag unterstützt hatten. Das birgt zumindest einen Erklärungsnotstand.

"Wir teilen die Empörung, es geht uns ganz genauso, es zerreißt uns das Herz, es ist absolut unerträglich, dass Kinder, die in Österreich geboren und aufgewachsen sind, in ein fremdes Land abgeschoben werden, das sie gar nicht kennen", argumentierte Sigrid Maurer in einem Video-Statement. Die Grünen blieben der ÖVP treu, weil sie keine Mehrheit haben, um im Asylstreit etwas ändern zu können. "Wenn eine solche Mehrheit möglich wäre, dann wären wir nicht mit der ÖVP in Koalition", erklärte Maurer.

Im selben Moment kündigt die Mandatarin aber an, das Kindeswohl im Bleiberecht und in den Asylgesetzen "besser absichern" zu wollen. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler setzte dafür am Donnerstag eine eigene Kommission ein, die sich mit Kinderrechten und Kindeswohl bei Entscheidungen, die das Asyl- und Bleiberecht betreffen, befassen soll. Diese Kommission, die im Justizministerium angesiedelt ist, wird die ehemalige Höchstrichterin und Ex-Neos-Abgeordnete Irmgard Griss leiten. Gemeinsam mit Experten sollen Empfehlungen erarbeitet und Mitte dieses Jahres veröffentlicht werden.

Griss will Diskussion versachlichen

Laut Griss soll die Kommission die emotionale Debatte versachlichen, sagte sie am Donnerstagabend in der "ZiB 2". Ziel sei, einen Überblick über die aktuelle Rechtslage und Entscheidungspraxis in Asylfragen zu geben und auf dieser Basis Empfehlungen auszusprechen. Dabei werde man sich auch verschiedene Einzelfälle anschauen, um herauszufinden, welchen Stellenwert die Kinderrechte in der Rechtspraxis haben – und der Fall der abgeschobenen 12-jährigen Tina sei da sicherlich relevant. Allerdings: "Wir sind keine dritte Instanz".

Dass Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sagte, dass er die Abschiebung der Schülerin nicht stoppen habe können, weil der Rechtsstaat entschieden habe, sieht Griss als "Ausrede". Der Rechtsstaat wende die Rechtsordnung an, aber die Politik bestimme, was deren Inhalt sei. "Es gibt immer Wege, nachzuschärfen".

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ÖVP-Klubobmann August Wöginger widersprach in der Nationalratsdebatte zuvor allerdings allzu weiten Eingriffen im Asyl- und Fremdenrecht. Er sieht keinerlei Grund, hier Änderungen vorzunehmen. "Wir halten uns an das Regierungsprogramm, dort ist nichts dergleichen verankert", erklärte Wöginger. Die Zusammenarbeit mit den Grünen bezeichnet er als "gut".

Am Mittwoch hatte es noch den Anschein, als seien die Grünen dazu bereit, das Risiko wirklich eingehen zu wollen und die Koalition wegen der Abschiebungen aufs Spiel zu setzen. Seit Tagen schossen sich Maurer und Co auf Innenminister Nehammer ein.

Doch schon im Laufe des Mittwochabends verwässerte sich die Kampfansage der Grünen klubintern immer mehr. Am Ende war der grüne Aufstand abgeblasen – in den eigenen Reihen herrscht durchaus auch Ernüchterung.

Fehlender Applaus

Eigentlich ging es in der Sondersitzung des Parlaments aber um etwas anderes: Die Freiheitlichen um Klubobmann Herbert Kickl polterten lautstark gegen die untersagten Demonstrationen am Wochenende. Sie sahen darin einen Anschlag auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Türkisen hätten Angst vor dem österreichischen Volk. Der Unterschied zu der Black-Lives-Matter-Demo und jenen der Corona-Maßnahmen-Kritiker sei, dass sich Letztere gegen die Regierung richte. Deshalb seien sie verboten worden.

Die FPÖ brachte einen Misstrauensantrag gegen Nehammer ein. Dieser sollte aber am Ende genauso wenig erfolgreich sein wie jener der SPÖ, den die Sozialdemokraten unter anderem wegen der jüngsten Abschiebungen des Innenministers in der Sondersitzung einbrachten.

Der Innenminister erklärte in seiner Rede einmal mehr, dass Demonstrationen aus gesundheitlichen Erwägungen abgesagt werden können. Nehammer kritisierte, dass die "unheilige Allianz" von Corona-Leugnern und der FPÖ auf dem Rücken jener ausgetragen werde, die tatsächlich ihre Sorgen auf den Demos kundtun wollten. Er betonte neuerlich, dass an jenen Veranstaltungen Neonazis und Rechtsextreme teilnahmen. Von den Grünen blieb jeglicher Zwischenapplaus aus, auf der Regierungsbank war kein einziger Grüner zu sehen.

Der grüne Abgeordnete David Stögmüller richtete sich beinahe wütend gegen Nehammer. Er machte auf die Baustellen des Innenministers im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung aufmerksam und zeigte sich gespannt darauf, was im Bericht zu den Pannen um das Attentat von Wien stehen wird. Völliges Unverständnis äußerte Stögmüller dafür, dass die Polizei brüllende Demonstranten, die keine Maske tragen, durch die Innenstadt begleitet. Die Strenge, die die Exekutive, bei der Abschiebung der Schülerinnen und ihrer Familien zeigte, hätte Stögmüller lieber bei den Demos am Wochenende gesehen. (Jan Michael Marchart, Michael Völker, 4.2.2021)