Köpfe, die aufschreien: In einem Manifest fordern 185 Schauspieler im "SZ-Magazin" größere Rollenvielfalt bei Film, Theater und TV.
Foto: Christian Fischer

Ein eindrucksvolles Bild der Entschiedenheit: 185 Porträts. Vom Cover des Magazins weg zieht es sich noch auf den folgenden Seiten weiter. Die freitägliche Beilage der Süddeutschen Zeitung war diese Woche einem Thema gewidmet: Deutschsprachige Schauspielerinnen und Schauspieler outen sich unter der Flagge #ActOut als schwul, lesbisch, bisexuell, queer, nichtbinär oder trans und setzen ein in dieser Form einmaliges Zeichen im Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung.

Der Titel "Wir sind schon da" spricht für sich. Gemeinsam repräsentieren die 185 Gesichter eine Vielfalt an Lebensentwürfen. Von der Idee einer homogenen Gruppe setzen sie sich bewusst ab. Ein Anliegen eint sie: Die Arbeitsrealität beim Fernsehen, Film und Theater ist rückschrittlich, oft diskriminierend. Darstellungsmöglichkeiten für entsprechende Identitätsentwürfe sind, speziell im Vergleich zum US-Raum, immer noch zu gering. Und wer sich öffentlich outet, der droht selbst bei vorhandenen Rollen den Kürzeren zu ziehen.

Karrierestolperstein: "Das ist jetzt vorbei"

"Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten", heißt es in dem #ActOut-Manifest. "Noch zu oft haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde, die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheim zu halten, um unsere Karrieren nicht zu gefährden." Und dann folgt der aktivistisch zugespitzte Satz. "Das ist jetzt vorbei."

Denn es kann nicht sein, dass die sexuelle oder Geschlechteridentität zum Karrierestolperstein werde. "Wir müssen nicht sein, was wir spielen", lautet eine zentrale Stelle des Aufrufs – zugleich wird eingefordert, dass Stoffe und entsprechende Rollen endlich eine in "Deutschland längst gelebte gesellschaftliche Realität" abbilden.

Erfahrungen der Ausgrenzung

Anlass der Kampagne war eine konkrete Erfahrung der Ausgrenzung. Der Tatort-Darstellerin Karin Hanczewski wurde bei einem Festival von ihrer eigenen Agentin geraten, besser nicht mit ihrer Freundin über den roten Teppich zu flanieren. Sie fühlte sich stigmatisiert, daraus erwuchs die Idee, sich mit anderen gemeinsam zu outen. Mit ihrem Schauspielkollegen Godehard Giese begann sie, sich mit Darstellern zu vernetzen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Zu den Unterzeichnern gehören prominente Schauspieler wie Udo Samel, Mavie Hörbiger, Ulrike Folkerts oder der Burgschauspieler Mehmet Ateşçi. "Uns wird oft geraten, uns mit bestimmten Facetten unserer Identität nicht sichtbar zu machen", begründet Letzterer sein Motiv, die Kampagne zu unterstützen. Er möchte Vorbild sein, damit Geschichten erzählt werden, in denen sich Menschen wie er wiedererkennen. "Es geht nicht um unser privates Begehren, sondern um die marginalisierte Darstellung jener Themen. Unsere Gesellschaft ist bereit für diversere Darstellungen."

Wie in "Charleys Tante"

Der österreichische Regisseur Markus Schleinzer (Angelo) wusste von den Vorbereitungen zu #ActOut und ortet, was die Repräsentation von sexuellen Minderheiten betrifft, in Österreich besonderen Nachholbedarf. Ein Grund dafür sei, dass das Land viel kleiner ist: Der ORF hat das Monopol der Auftragsvergabe inne, entsprechend wenige Redakteure würden über Content entscheiden, so Schleinzer zum STANDARD. "Die Stereotype haben sich von den Dingen, die ich in den 1980ern gesehen habe, nicht stark gelöst. Selbst wenn man behauptet, man würde diversiv erzählen, ist es doch so, dass man immer noch dieselben Charleys-Tante-Klamotten sieht. Den einen Schwulen mit dem Hüftschwung und der Divenmusik."

Schleinzer hat auch lange im Casting-Bereich gearbeitet, an einer der Schnittstellen, die als problematischer Bereich der Rollenselektion genannt werden. "Bei Produktion und Regie war es beim Casten wiederholt Thema, dass schon ein bestimmtes Wissen um eine Person diese dann im Rollenfach limitiert hat", erinnert er sich.

Wo kann man Hebel ansetzen, um die Diversität zu fördern? Für Schleinzer ließe sich das nicht über Quoten regeln, die seien selbst zu starr, ja normierend. "Es ist ein gesellschaftspolitisches Prozess. Das kann dauern. Es geht ja auch darum, dass eine Gesellschaft, die stereotyp gehalten wird, leichter lenkbar ist." Doch ein Anfang wäre, Formate wie das ORF-Fernsehspiel wieder einzuführen, mit dem man die Realität mannigfaltiger abbilden konnte als mit schablonenhaften Serien. (Dominik Kamalzadeh, Stefan Weiss, 5.2.2021)