Wie viel sind Wale und andere Lebewesen für uns Menschen wert?

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Es ist erstaunlich, wie hunderttausende Einflüsse, Auswirkungen und Messgrößen am Ende auf eine einzige Zahl reduziert werden können: 132 Billionen Euro. Auf eine solche Summe bezifferte das US-Beratungsunternehmen Boston Consulting Group vor kurzem den Wert der weltweiten Wälder. Bienen und andere Bestäuberinsekten sind im Vergleich dazu schon weniger wert: 830 Milliarden Euro oder ein Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts bringt uns deren Arbeit, haben Forscher der Universität Hohenheim in Stuttgart berechnet.

Die Zahlen kommen nicht nur bei den Medien, sondern auch in der Politik gut an. Die sogenannte Monetarisierung oder Bewertung der Natur und Umweltveränderungen in Geld schafft Zahlen, die sich gut vergleichen, zusammenfügen, veranschaulichen und erklären lassen. Und sie rechtfertigen Investitionen: Wie viel bekommen wir zurück, wenn wir Milliarden Euro in den Schutz gefährdeter Vogelarten stecken?

In der Wissenschaft feiern Publikationen zu dem Thema seit Jahren Hochkonjunktur, kaum eine Weltklima-, Natur- und Artenvielfalt-Konferenz kommt mittlerweile ohne die Berechnungen aus. Laut Forschern wie jenen der anfangs erwähnten Waldstudie seien die Messungen "objektiv" und damit den emotional geladenen Diskursen zum Umweltschutz um ein Vielfaches voraus. Haben sie recht? Und wie beeinflussen die Berechnungen den weltweiten Klimaschutz?

Tiervergleiche

Wenn Sie schätzen müssten: Welchem dieser Tiere würden Sie in absteigender Reihenfolge den höchsten Geldwert beimessen – Elefanten, Bienen oder Walen? Einige Ökonomen haben die Berechnungen bereits durchgeführt. Vergleicht man die Ergebnisse unterschiedlicher Studien und nimmt den Wert der gesamten Population her, sähe die Reihenfolge folgendermaßen aus: Platz eins wären die Wale mit mehr als einer Billion Dollar, gefolgt von den Bienen knapp dahinter und schließlich von den Elefanten mit 175 Milliarden Dollar.

Wie kommen die Ökonomen auf diese Zahlen? Die Studie zu den Walen stammt vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2019. Der Wert der Wale setzt sich zum größten Teil aus dem CO2, das die Tiere im Laufe ihres Lebens aus der Atmosphäre aufnehmen, den Vorteilen für Fischereien und dem Ökotourismus zusammen. Bei den Bienen haben die Forscher der anfangs erwähnten Studie vor allem die Konsequenzen auf Ernte und die Landwirtschaft insgesamt berücksichtigt.

Die Studie der Elefanten stammt ebenfalls vom IWF und berechnete den Wert afrikanischer Waldelefanten anhand ihres Beitrags zur CO2-Reduktion: Indem die Elefanten kleine Bäume abfressen oder zertrampeln, sorgen sie dafür, dass zwar weniger, aber dafür größere und stärkere Bäume wachsen, die weit mehr CO2 speichern als kleinere Bäume.

Objektive Messungen?

Von Wissenschaftern und Umweltschützern werden die Berechnungen kontrovers diskutiert. Einige befürchten einen "Ausverkauf" der Natur, sehen die Sichtweise als ethisch nicht vertretbar, zu anthropozentrisch – also auf den Menschen ausgerichtet – und reduziert auf einzelne Werte, bei denen der "intrinsische" Wert der Natur nicht berücksichtigt wird. Die Schwierigkeit besteht für Kritiker darin, Tieren, Pflanzen und der Umwelt Werte zuzuschreiben, die sich objektiv messen lassen. Können Bienen mehr wert sein als Elefanten? Lassen sich Werte nur vom Menschen bestimmen? Und wie sieht es mit den sozialen und kulturellen Werten aus, die sich von Mensch zu Mensch unterscheiden?

Tatsächlich kommt eine Studie aus dem Jahr 2009, die 41 Studien zur ökonomischen Bewertung von Wildtierpopulationen untersuchte, zu dem Ergebnis, dass sich die Höhe der Werte zwischen den Studien teils drastisch unterschieden, je nachdem, welchen Werten – beispielsweise Größe, Population, Gewicht – die höchste Wichtigkeit zugeschrieben wurde.

Wert: Unendlich

Bei den Berechnungen sehen Kritiker auch ein weiteres Problem: nämlich wenn der Wert der sogenannten "Umweltleistungen" eigentlich unendlich beträgt. Als Beispiel kann die Studie der Boston Consulting Group zum Wert der Wälder dienen. Die 132 Billionen Euro, die alle Wälder weltweit wert sind, mögen viel erscheinen, aber könnte die Menschheit überhaupt ohne Bäume leben? Anders ausgedrückt: Müsste der allerletzte Baum auf diesem Planeten dann nicht unendlich viel wert sein und somit auch der gesamte Waldbestand?

Ökonomen, die zu ihren Berechnungen stehen, haben einige Gegenargumente parat. Zusammengefasst könnten viele davon folgendermaßen lauten: Erst das, was sich beziffern lässt, zählt auch. Bereiche, die nicht bewertet werden, könnten vernachlässigt und weniger geschützt werden. Indem der ökonomische Wert so gut wie möglich berechnet wird, könne erst die Wichtigkeit von Ökosystemen für Politik und Gesellschaft aufgezeigt werden.

In einer Welt, in der finanzielle Mittel knapp sind, sollen die Studien so dabei helfen, Prioritäten bei der öffentlichen und privaten Finanzierung zu setzen. Die Werte, die die Ökonomen verwenden, gehen zudem meist über den direkten wirtschaftlichen Nutzen der Umweltleistungen hinaus und versuchen, alle Arten von Nutzen der Natur für den Menschen zu bewerten, so Befürworter.

Besserer Schutz

Darauf machen auch die IWF-Ökonomen in ihrer bereits zuvor erwähnten Elefantenstudie aufmerksam. Bricht man den Wert aller 100.000 Waldelefanten Afrikas – 175 Milliarden Dollar – auf jedes Tier herunter, wäre jeder Elefant rund 1,75 Millionen Dollar wert. "Das Elfenbein, hinter dem Wilderer her sind, bringt diesen nur 40.000 Dollar ein. Es ist also klar, dass die Vorteile einer gesunden und wachsenden Elefantenpopulation deutlich überwiegen", schreiben die Experten. Indem der "wahre" Wert der Natur und Umwelt aufgezeigt wird, soll diese auch besser geschützt werden.

In Botswana etwa sind Elefanten bereits Teil der Umweltbilanzierung des Landes, die aufzeigt, welchen Wert die Tiere für die Wirtschaft des Landes haben. So soll die Finanzierung in den Schutz der Wildtiere mehr als Investition denn als Kosten gesehen werden. Allerdings stellt sich heraus, dass das Problem in der Praxis weit komplexer ist: Die Elefanten zerstören immer wieder die Ernten der lokalen Bevölkerung Botswanas. Auf Druck der ländlichen Bevölkerung hin hob die Regierung 2019 das bis dahin fünf Jahre dauernde Verbot der Jagd auf Elefanten auf.

Elefanten sind wesentlich mehr wert als ihre Stoßzähne. Aber in Botswana werden sie vielen Landwirten auch zum Problem.
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"Optimaler" Klimawandel

Die Berechnungen der Ökonomen spielen aber nicht nur bei der Bewertung bestimmter Tierpopulationen, sondern auch beim Klimawandel eine Rolle. Wer den "wahren" Preis von CO2 ermitteln will, muss wissen, zu welchen Kosten der Klimawandel und die damit einhergehenden Verluste der Artenvielfalt führen. Dass diese Annahmen und Berechnungen so komplex und verschieden sind, ist einer der Gründe, weshalb sich Ökonomen bis heute nicht auf einen "wahren" CO2-Preis einigen konnten.

Und die Annahmen können auch problematisch werden: Der amerikanische Ökonom William Nordhaus, ausgezeichnet für seine ökonomischen Untersuchungen des Klimawandels, bezeichnete 2018 einen Anstieg der globalen Temperatur um vier Grad Celsius als "optimal". Optimal bedeutet, dass bei diesem Punkt die Kosten und Vorteile zur Bekämpfung des Klimawandels ausgeglichen sind.

William Nordhaus gilt als einer der renommiertesten Klimaökonomen der Welt.
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Klima-Kipppunkte

Dafür wurde der Ökonom teils heftig kritisiert. Tatsächlich gehen viele Klimatologen davon aus, dass eine Vier-Grad-Erwärmung dramatische Auswirkungen auf die Natur und den Menschen hätte – von Klima-Kipppunkten ganz abgesehen. Dass Nordhaus die Risiken und Unsicherheiten solcher Kipppunkte in seinen Modellen laut Kritikern vernachlässigt, ist für viele einer der Gründe für seinen "optimistischen" Klimaausblick. Regierungen wiederum, die sich auf Nordhaus' Studien berufen, könnten sich so auf spätere Klimamaßnahmen herausreden, so die Kritik.

So ungenau die Berechnungen der Umweltleistungen vielerorts sind, ganz ohne sie kämen die Finanz- und Wirtschaftswelt, Klimagipfel und Umweltschutzkonferenzen wohl nicht mehr aus. Laut dem aktuellen Global Risks Report des Weltwirtschaftsforums gehören der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt zu den fünf größten Risiken für Gesellschaften und Unternehmen für die Zukunft. Ohne Zahlen zu den Auswirkungen dieser Entwicklungen hätten Versicherer und Investoren wenig Anhaltspunkte für finanzielle Entscheidungen. Tatsächlich bemängeln viele Experten, dass der Wert der Natur noch immer zu wenig Einzug in die Finanzwelt gefunden hat.

Wetten auf die Zukunft

Am Ende lesen sich viele Entscheidungen und Berechnungen als eine Wette auf die Zukunft. Wie hoch wird der Schade des Klimawandels und des Verlusts der Artenvielfalt in einigen Jahrzehnten sein? Wie schnell und effektiv werden künftige Generationen darauf reagieren können? Kurzfristig gesehen sind der Walfang, die Elefantenjagd oder der Kohle- und Erdölabbau für einige Unternehmen und Regierungen ein äußerst lukratives Geschäft – so lange, bis das ökologische System dahinter kollabiert. (Jakob Pallinger, 7.2.2021)