Scaphognathus crassirostris gehörte zur urtümlicheren Gruppe der Flugsaurier, gekennzeichnet durch einen langen Schwanz. Schon bald nach seinen Lebzeiten starb diese Gruppe aus.
Foto: Georg Oleschinski, Bonn

Er lebte vor 150 Millionen Jahren da, wo heute Süddeutschland liegt, hatte eine Flügelspannweite von knapp unter einem Meter, einen langen Schwanz und – anders als bei einigen seiner Verwandten – senkrecht stehende Zähne, mit denen er entweder Fische oder große Insekten packte. Und nun trägt der Flug- oder Pterosaurier Scaphognathus crassirostris, ein Zeitgenosse des Urvogels Archaeopteryx, auch einen Titel: Nicht zuletzt wegen seiner historischen Bedeutung wurde er zum Fossil des Jahres 2021 gekürt, wie der deutsche Dachverband der Geowissenschaften berichtet.

Von dieser Spezies kennt die Wissenschaft bisher nur drei Exemplare. Sie stammen aus den lithographischen Schiefern des Oberjura auf der Fränkischen Alb. Eines davon befindet sich in der Fossiliensammlung des Naturkundemuseums der Universität Bonn, die heuer ihr 200-jähriges Jubiläum feiert. Weitere Originalfossilien werden im Museum am Löwentor in Stuttgart sowie im Fossilien- und Steindruck-Museum in Gunzenhausen aufbewahrt.

Späte Bestätigung der ersten Untersuchung

Dass die Paläontologische Gesellschaft den Scaphognathus zum Fossil des Jahres ernannt hat, liegt an seiner Bedeutung für die Forschungsgeschichte. Zum ersten Mal beschrieben wurde er vom Bonner Gelehrten Georg August Goldfuß (1782-1848). Goldfuß hatte das Skelett eingehend untersucht, nachdem er es selbst präpariert hatte. Er entdeckte 1831 bei der Versteinerung auch eine Art Behaarung im Nackenbereich und auf der Flughaut. Heute weiß man, dass es sich um keine Haare wie bei Säugetieren handelt, sondern um sogenannte Pycnofasern. Die Funktion der Körperbedeckung dürfte aber dieselbe gewesen sein und deutet darauf hin, dass die Flugsaurier genau wie Vögel und Säugetiere endotherm waren.

Die Forschung hat allerdings recht lange gebraucht, um Goldfuß' Analyse zu bestätigen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden seine Erkenntnisse über eine "Mähne" des Tiers vehement als unwissenschaftlich abgetan, noch für lange Zeit sollte das Bild von "nackten" Flugsauriern die Vorstellung prägen. Erst neue Methoden der digitalen Fotografie und Aufnahmen unter UV-Licht machten 2018 eine Neuuntersuchung möglich. Dabei ließen sich eindeutig Weichteilerhaltung und Pycnofasern nachweisen.

Unter UV-Licht zeigen sich grünschimmernd die Reste der ehemaligen Weichteile.
Foto: Jäger et al. 2018, Palaeontolog

Goldfuß tat aber noch etwas für die Paläontologie Bedeutungsvolles: Obwohl sich der Körperbau des Flugsauriers von allen heutigen Tieren stark unterschied, entwickelte der Forscher eine Vorstellung von der Lebensweise des Scaphognathus als aktivem Flieger. Er ließ daraufhin den Universitäts-Zeichenlehrer Christian Hohe das Tier in mehreren Lithographien darstellen und die Drucke aufwändig von Hand colorieren.

Die Abbildung von zwei lebenden Scaphognathus-Exemplaren mit Haut und Haar im Flug und an einer Klippe brachte Goldfuß‘ Annahmen von der Lebensweise des Tieres eindrucksvoll zur Geltung. Von da an begann die Forschung Abbilder von lebendigen Sauriern ernst zu nehmen und wissenschaftlich zu nutzen. Rekonstruktionen von Fossilien als lebende Organismen sind heute als sogenannte Paläo-Art in der Forschung und in den Medien verbreitet und tragen erheblich zur Faszination bei, die die Tierwelt des Erdmittelalters ungebrochen auf uns ausübt. (red, 5. 2. 2021)