Nach elf Mails hat Adele gemerkt, dass sie auf den Arm genommen wird.

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Am Ende hat Peter Jürgen den Bogen überspannt. Er hat Adele gefragt, ob die Telefonnummer des Bankdirektors auch sicher die richtige sei. Denn als er dort angerufen hat, sei eine Ansage gekommen, dass diese Nummer wegen betrügerischer Aktivitäten gesperrt sei. Da dürfte Adele den Braten gerochen haben. "You are very stupid", antwortet sie per Mail.

Natürlich heißt Adele nicht Adele, und sie ist auch nicht die Erbin eines Kakaoexporteurs aus Côte d’Ivoire, der 2011 von Rebellen erschossen wurde und ihr fünf Millionen Dollar hinterlassen hat. Dieses Geld will sie jetzt – mit Peters Hilfe – nach Europa bringen, um dort zu studieren. Angeblich. Hinter Adele steckt ein Internetbetrüger, der gutgläubige Menschen hinters Licht führt und sie oft um tausende Euro erleichtert. Denn nachdem das große Geld zum Greifen nah ist, gibt es immer eine vermeintlich kleine Gebühr, die man noch überweisen soll.

Ein bisschen karitativ

Aber: Plot Twist! Auch ich heiße nicht wirklich Peter Jürgen, ich bin kein einsamer Pensionist aus der Steiermark, der sich über diese merkwürdigen Angebote freut. Ich betreibe "Scambaiting" als Hobby. Scam nennt man diese Betrugsmaschen im Internet, Baiting bedeutet locken. Von einer anonymen E-Mail-Adresse antworte ich also Betrügern, die in meinem Spam-Ordner landen. Ich mache mir einen Spaß daraus, möglichst viel der Zeit dieser Kriminellen zu verschwenden.

Ich sehe das auch ein bisschen als karitative Tätigkeit: Jede Minute, die Adele oder eines meiner anderen Opfer mit dem schusseligen Peter zubringen, ist eine Minute, in der diese Leute keine unbedarften Menschen um ihr Geld bringen können.

Strenge Regeln für das Scambaiting

Adele habe ich elf E-Mails lang beschäftigt. Das Erste, wonach Adele und ihre Kollegen fragen, sind Name, Adresse und Telefonnummer, oft auch gleich die Bankverbindung. Da musste ich meine Fantasie spielen lassen.

Denn es gibt eine große Scambaiting-Community, die Regeln für ihr Hobby aufgestellt hat. Eine davon: Verwende keine echten Daten. Nicht von dir – und auch nicht von jemand anderem. Adressen dürfen nicht existieren, damit niemand Unbeteiligter zu Schaden kommt. Peter wohnt also "Am Betrugsweg 5" in einem steirischen Dorf. Auch Dokumente, echt oder gefälscht, sind tabu. Denn sie könnten weiterverwendet werden. Peter vergisst also leider meist darauf, den geforderten Anhang mitzuschicken. Und wenn der dann (hoffentlich schon entnervte) Scammer erneut darauf hinweist, dass er jetzt wirklich eine Passkopie braucht, benennt Peter irgendeine Systemdatei von seinem Computer in "passport.jpg" um. Ist ja nicht sein Problem, dass der Betrüger die Datei nicht öffnen kann.

Ekaterina nervt mich

Eine andere Betrugsmasche zielt auf einsame Menschen auf der Suche nach Liebe ab. Hier stehe ich mit Ekaterina in Kontakt. Wir sind seit kurzem fix zusammen. Ich weiß, das ist sehr schnell gegangen, aber es fühlt sich trotzdem richtig an! Peter gefallen die Fotos, die sie ihm schickt (er weiß nicht, dass sie die von einer russischen Social-Media-Seite gestohlen hat). Auch er hat Fotos von sich gemailt. Eines von einem Faschingsfest und eines, wo er nackt auf einem Steg sitzt. Ekaterina hat Jörg Haider zum Glück nicht erkannt.

Jörg Haider und Peter Jürgens haben eine gewisse Ähnlichkeit zueinander.
Foto: apa / eggenberg

Ekaterina ist der zeitaufwendigste unter meinen Betrugskontakten. Sie schickt mir elendslange Nachrichten: "Ich hatte einen guten Tag. Ich habe das Haus geputzt. Dann habe ich ein leckeres Mittagessen gemacht. Ich machte Hühnerfilet und Kartoffelpüree. Meine Freundin Anna hat mich heute besucht."

Diese komatös-faden Erzählungen folgen offensichtlich einem Drehbuch. Peter hat versucht, sie aus der Reserve zu locken, indem er ihr betrunken seine Liebe gestanden hat. Ekaterina schickte einfach die nächste vorbereitete Nachricht darüber, was sie gegessen hat. Erst nach Peters empörter Nachfrage ging sie halbherzig auf die Liebeserklärung ein – um in der nächsten Mail wieder auf ihre 300 Wörter lange Einschlafhilfe zurückzugreifen. Ich räche mich dafür mit einer ebenfalls langen E-Mail, in der ich ihr von der Sorge einer Freundin erzähle, Ekaterina könnte mich betrügen, denn ihr sei das Gleiche passiert. Seitdem warte ich auf Ekaterinas Antwort.

Eine moralische Frage

Manche Leute stellen Scambaiting moralisch infrage. Und auch ich hatte anfangs Skrupel: Sind die Menschen hinter den E-Mail-Adressen nicht in Wahrheit arme Teufel, die halt irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen? Aber am Ende: Diese Menschen hinterlassen ihre Opfer oft mit hohen Schulden und vor allem viel Scham (die Zahl der Scam-Geschädigten wird in Österreich nicht erhoben). Sie davon abzuhalten kann nicht schlecht sein.

Ein paar Mails lang bin ich Adele, der Kakao-Erbin, auch mit meiner Telefonvorwahl auf die Nerven gegangen. Sie war verwirrt, weil ich einmal von "Austria" und dann von "Germany" gesprochen habe – ich bin mit Peters Adressen durcheinandergekommen. Ich habe das dann sehr ausführlich mit Peters deutschnationaler Gesinnung erklärt. Mein Alter Ego muss ja nicht sympathisch sein.

"You are very stupid"

Als sich mein Gegenüber damit zufriedengegeben hat, kam der nächste Akt im Betrugsschema: Ich sollte den Bankdirektor anrufen, um die Überweisung der fünf Millionen Dollar auf mein Konto zu bestätigen. Ich habe also die Geschichte mit der Telefonsperre erfunden. Und Adele hat sie mir nicht abgekauft. Auf ihre "You are very stupid"-Mail habe ich noch ein paarmal empört geantwortet, was das solle und dass ich ihr doch helfen wolle. Leider ist sie darauf nicht mehr eingestiegen.

Mein Glück: Es gibt in den Weiten des Internets immer neue Betrüger, die ich beschäftigen kann. Und wenn es sie einmal nicht mehr gibt, werte ich das als Erfolg. (Peter Jürgen, 6.2.2021)