Die Durchsetzung einer behördlich untersagten Demonstration, bei der an die zehntausend Menschen in Wien stundenlang mit bis zur Selbstaufgabe deeskalierender Polizeibegleitung durch Wien zogen, hat am rechten Rand Begeisterungsstürme hervorgerufen. „Einmalig“ und „wahrlich historisch“ sei es gewesen, „wie sich die Leute vom Verbot nicht abschrecken ließen“, beschrieb Stefan Magnet die – seines Erachtens – „friedliche Revolution“ im rechten "Wochenblick". Nicht weniger als eines „Wunders“ glaubte ein anderer teilhaftig geworden zu sein. Wieder ein anderer, „Identitären“-Führer Martin Sellner, berichtete ergriffen von jener „Sternstunde, als das Volk sich seinen Ring zurückgenommen hat“, ortete „Revolutionsstimmung in der ganzen Stadt“ und zog Parallelen zur Besetzung der Hainburger Au. Ein vierter zeigte sich überzeugt, dass schon bald, erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik, eine Regierung über Straßenprotest stürzen werde. Dass die tags darauf verkündeten Lockerungen einiger Corona-Maßnahmen als unmittelbares Resultat der Demonstration reklamiert wurden, versteht sich von selbst.

Eine Meile in den Schuhen des Gegners

Nun sind diese Einschätzungen vor allem eines: fast schon rührend überzogen und bestechend ahistorisch. Als Sternstunde der – im internationalen Vergleich gewiss nicht sonderlich spektakulären – österreichischen Protestgeschichte kann den 31. Jänner nur ausrufen, wer diese Geschichte mit 2021 beginnen lässt oder sie so vage erinnert, dass er Hainburg mit Zwentendorf verwechselt (Sellner zufolge hätte in der Au ein Kernkraftwerk entstehen sollen). Außergewöhnlich war weder die Demonstrationsuntersagung, noch deren verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit, noch das Hinwegsetzen darüber. So liefen etwa die antifaschistischen Proteste gegen den Ball der Wiener völkischen Studentenverbindungen jahrelang nach genau diesem Muster ab. Freilich wurden die Untersagungen dabei deutlich entschlossener exekutiert: mit stundenlangen nächtlichen Polizeikesseln und en masse verteilten, rechtlich suspekten Verwaltungsstrafen für die bloße Anwesenheit am Kundgebungsort. Müßig zu erwähnen, dass eine derartige Beamtshandlung von Linken den stürmischen Beifall derselben Leute erntete, die ihr eigenes Hinwegsetzen über ein Demoverbot nun als magisches Datum in die Geschichte sozialer Bewegungen einschreiben wollen.

Die rebellische Attitüde dessen, der sich kühn die Straße nimmt, prägte am 31. Jänner viele Einlassungen von rechtsaußen. Dort, wo es zu polizeilichen Eingriffen kam, wich sie freilich im Handumdrehen der für die Alphamänner des Dritten Lagers so charakteristischen, trotzigen Larmoyanz: „Wie in einer Bananenrepublik wird auf die Leute losgegangen“, kommentierte der "Wochenblick"-Schreiber die sanfte Abdrängung einiger Teilnehmenden durch die Polizei auf Facebook. Und als der selbsternannte „Propagandaminister“ der Corona-Proteste, Martin Rutter, zwischenzeitig festgenommen wurde, wähnte derselbe Kamerad ihn schon düster „im Kerker verschwinden“ (Rutter war nach wenigen Stunden wieder auf freiem Fuß). So manche Märtyrererzählung in eigener Sache wurde an diesem Wintertag gesponnen, und in einem an Märtyrerkult nicht armen Milieu wäre es nicht verwunderlich, sollten diese Erzählungen sich als das Langlebigste erweisen, das von diesem Tage übrigbleibt.

Die Corona-Sonntagsdemo lockte zahlreiche rechte Personen und Gruppierungen an.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Entrückte Rechte

Nachvollziehbar wird die kindliche Freude Rechtsextremer über die Ereignisse des 31. Jänner erst vor dem Hintergrund ihrer chronischen Mobilisierungsschwäche: der gemeine österreichische „Identitäre“ oder Neonazi kannte Großdemonstrationen bislang nur als jene vielfache zahlenmäßige Übermacht, die der eigenen Kleinstkundgebung den Weg versperrt. Wen wundert da, dass gestandene Recken, erstmals ergriffen von der „mitreißenden Kraft der Gruppendynamik”, in ihren Liveberichten und Nachbetrachtungen zwischen pubertärem Überschwang („das geilste patriotische Erlebnis aller Zeiten“) und dem Pathos der Ernst-Jünger-Kriegsprosa („Die Gebäude erzittern von den Rufen!“) schwankten? Oder, wie der vorerwähnte Kolumnist, beseelt davon berichten, wie erhebend „es sich anfühlt, wenn man plötzlich ein Tretgitter beiseite schiebt und aus dem Kessel in die Freiheit spazieren kann”. Dass das eigenmächtige Überschreiten von Tretgittern in die Freiheit führt statt in Polizeigewahrsam, und der Ausgang aus dem Kessel nicht zwingend zur Personalienfeststellung, zählt nun in der Tat zu den Erfahrungen, die die Linke nicht erfunden hat.

Sich auf einer Großdemonstration bewegen zu können wie Maos sprichwörtlicher „Fisch im Wasser“, war also für viele Rechtsextreme ungewohnt. Die Neuheit des subjektiven Erlebens macht ein Ereignis freilich noch nicht „historisch“. Eine solche Einstufung wird schon von den Zahlen kaum gedeckt: die am Sonntag Ende Jänner mobilisierte Menge, wenn auch für österreichische Verhältnisse und angesichts der Untersagungen beachtlich, war nicht einmal die größte seit Beginn der Pandemie (siehe: Black Lives Matter), geschweige denn seit längerer Zeit.

Die Früchte des Protests

Ein belastbares Urteil über die historische Einordnung der Ereignisse wird, wie immer, erst im Nachhinein zu fällen sein. Ein Blick auf die Wirkungsgeschichte anderer großer beziehungsweise noch weit größerer Mobilisierungen könnte aber andeuten, wohin die Reise geht – und liefert Rechten wenig Grund für Zuversicht.

Hat die #Unibrennt-Bewegung, die 2009 nicht nur ein paar Stunden lang Straßen blockierte, sondern, von Demos flankiert, wochen- und monatelang einige der größten Hörsäle des Landes besetzt hielt, den Kurs der österreichischen Hochschulpolitik nachhaltig verändert? Mitnichten.

Haben die Donnerstagsdemos gegen Schwarz-Blau I – grundsätzlich unangemeldet, über Jahre hinweg wöchentlich und mit teils fünstelliger Teilnehmerzahl durchgeführt – die damalige Regierung auch nur ins Wanken gebracht? Nicht einmal die unentwegtesten Donnerstags-Marschierenden würden das behaupten.

Hat das „Lichtermeer“ aus 200-300.000 Menschen 1993 den politischen Durchmarsch der Haider-FPÖ auch nur gebremst? Wohl kaum. Das freiheitliche „Ausländervolksbegehren“, auf das es reagierte, wurde in weiterer Folge fast vollständig von rot-schwarzen Koalitionen umgesetzt, noch bevor die FPÖ 1999 ein Rekordwahlergebnis einfuhr und selbst in die Regierung einzog.

Männer, Masse, Meinungskrieg

Wenn also, wie Martin Sellner in einer Nachbetrachtung des 31. Jänner festhielt, „Masse“ das „letzte Machtmittel“ gegen die von ihm imaginierte „totalitäre Diktatur“ des globalen Liberalismus ist, und dieser Sonntag Gradmesser für den Umfang dieser Masse war, erscheinen die Aussichten der antiliberalen Rechtsfront als einigermaßen trist. Freilich setzt Sellner Mobilisierungspotenzial nicht mit Meinungshegemonie gleich, sondern erblickt im Straßenaktivismus einen Hebel zur Erringung letzterer. Die Masse, hier verstanden als die öffentlichen Meinung, sei „feminin“ und fühle sich, wie Frauen das Sellner (in Rezeption der Urlaute seines faschistischen Idols Julius Evola) zufolge eben zu tun pflegen, von Stärke, Macht und Dominanz angezogen. Daher gelte es, weitere „Siege“ wie jenen vom 31. Jänner einzufahren, um die breite Bevölkerung auf die eigene Seite zu ziehen. Nun wächst der Unmut an Pandemie und darauf bezogenem Regierungshandeln in der Tat und ist Umfragen zufolge dabei, majoritär zu werden. Aber weder eine Mehrheit gegen die Maßnahmen, noch eine hypothetische Mehrheit gegen die Regierung Kurz/Kogler wäre auch nur annähernd ident mit einer Mehrheit für das politische Projekt eines Martin Sellner oder gar eines Gottfried Küssel.

So sei es rechtsextremen Kadern also unbenommen, ihre einmalige Hinwegsetzung über eine Demonstrationsuntersagung für geschichtsträchtig zu halten, „die Straße“ in ihrer Hand zu wähnen oder die III. Republik herannahen zu glauben, weil man ausnahmsweise nicht jeden Kundgebungs-Kameraden persönlich begrüßen konnte. Mit der Realität haben diese im Taumel der Ereignisse formulierten Einschätzungen freilich wenig zu tun.

Frühlingsstimmung rechtsaußen

Bei aller Polemik über rechte Hybris sollte dennoch nicht übersehen werden, dass der 31. Jänner in mancherlei Hinsicht durchaus als Erfolgserlebnis für die extreme Rechte verbucht werden kann. Wenngleich Mobilisierungen selten ihre unmittelbaren Ziele erreichen, stiften sie doch – zumal, wenn sie wiederholt und über einen längeren Zeitraum stattfinden – Vernetzung und politisieren Menschen. So können sie lange nachwirken und ihre stärksten Effekte eventuell mit großem Zeitverzug entfalten. Zweitens scheinen jedenfalls die bisherigen großen Coronademonstrationen in Wien tatsächlich jenen „patriotischen“ und nicht-linken Grundkonsens aufzuweisen, den Rechtsextreme ihnen attestieren. Damit stellen sie einen Rekrutierungspool und Resonanzboden zur Verfügung, den der organisierte Rechtsextremismus in den letzten Jahrzehnten kaum je auf der Straße vorfand.

Auch Analysen, die den 31. Jänner als Tag der Aneignung des zivilen Ungehorsam von rechts feiern, sind nicht abwegig, ist doch die Untertanenmentalität in diesem politischen Spektrum besonders stark ausgeprägt. Nicht wenige dürften die Demonstration mit der Erkenntnis im Gepäck verlassen haben, dass man – hinreichend Masse und Österreichfahnen im Rücken – auch „mit Regelbrüchen davonkommen“ kann, wie Sellner meint. Dass manch autoritärer Charakter sein rebellisches Gen ausgerechnet in einer Situation entdeckt, in der es das eigene Ego zugunsten der vulnerabelsten Bevölkerungsteile  zurückzunehmen gälte, mag man bedauern; dass die extreme Rechte, die jede Form der Schwäche ohnehin verachtet, keine Skrupel hat, davon zu profitieren, versteht sich von selbst.

Die extreme Rechte hat also durchaus Grund zur Freude. Die aktuelle Euphorie dürfte dagegen von eher kurzer Dauer sein. (Bernhard Weidinger, 8.2.2021)

Bernhard Weidinger ist FIPU-Mitglied und verbringt zu viel Zeit mit dem Konsum rechtsextremer Propaganda.