Im "Kasperltheater", über das Magdalena Klestil-Krausam richten muss, ging es nicht um Tintifax, sondern den Abstand zum Nebenauto.

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Wien – Eigentlich wollte Herbert S. am 20. November in Wien-Penzing nur ein Retourpaket bei einer Paketstation deponieren. Der Versuch endet nun letztendlich vor Richterin Magdalena Klestil-Krausam, die entscheiden muss, ob sich der 62-Jährige damals der gefährlichen Drohung schuldig gemacht hat oder nicht. Der Pensionist bekennt sich zwar schuldig, erzählt jedoch, er habe nichts Falsches gemacht.

Der vorangegangene Konflikt dreht sich um die Situation auf einem Supermarktparkplatz. S. schildert die Lage so: "Ich habe mich gleich auf den ersten Längsparkplatz gestellt, die ganze Reihe war frei. Dann bin ich ausgestiegen und wollte das Paket aufgeben, meine Frau ist sitzen geblieben." Der Plan scheiterte, da kein Fach mit den Dimensionen seines Poststückes mehr frei war. "Als ich mich umgedreht habe, habe ich gesehen, wie die Dame ganz knapp neben mir eingeparkt hat. Obwohl alles frei war!", ist S. noch zweieinhalb Monate später entrüstet.

Sehr kräftig gebauter Angeklagter

Dazu muss gesagt werden, das der Angeklagte sehr kräftig gebaut ist und nach seiner Darstellung der Platz zwischen der Fahrertür seines Mercedes SUV und dem Auto daneben sehr knapp bemessen war. "Ich bin hingegangen und habe die Dame ersucht, sich woanders einzuparken", schildert er. "So freundlich?", ist die Richterin misstrauisch. "Am Anfang schon. Sie hat 'Nein' gesagt und mich ausgelacht. Dann wurde ich erbost", sagt der Pensionist.

Er legte sein Paket zurück in seinen Wagen und zwängte sich durch die Lücke. "Mit dem Bauch habe ich ihr Auto abgewischt, mit dem Hintern meinen", behauptet H., bei der Aktion seien sowohl sein Pullover als auch seine Hose verschmutz geworden. "Mit ein bissl Akrobatik" habe er sich dann hinter sein Lenkrad gezwängt, "dabei ist auch der Fahrersitz dreckig geworden". Die "Dame" sei währenddessen auf dem Grünstreifen gestanden und habe ihm zugesehen. "Di schaut mi au und locht mi aus!", kann der Angeklagte es immer noch nicht ganz fassen.

"Von der Dame charakterlos!"

Seiner Darstellung nach sei er aber recht ruhig geblieben. Er fuhr also im Rückwärtsgang aus seiner Parklücke, in einem "U" mit dem Heck voran, um das Gefährt der Kontrahentin und auf den leeren Parkplatz Nummer drei. Sicher einen Meter vor der Frau habe er gebremst. "Und? Is des sche?", habe er die andere Verkehrsteilnehmerin gefragt. "Na ja, das Ganze ist aber ein bisserl ein Kasperltheater", wirft Klestil-Krausam ein. "Ein Kasperltheater, aber von der Dame charakterlos!"

Die Reaktion der Frau fiel nach Darstellung des Angeklagten seltsam aus: "Sie fahren mich nieder!", soll sie geschrien und mit den Händen auf seine Heckscheibe geschlagen haben. "Wollten Sie sie vielleicht ängstigen?", will die Richterin wissen. "Die stand ja auf dem Grünstreifen, da hätte ich über den Randstein fahren müssen, um sie zu erwischen. Ich ruinier doch nicht mein Auto!" – "Es geht ja nicht um versuchte Körperverletzung, sondern darum, ob sich die Frau schrecken sollte." – "Nein, an das habe ich nicht gedacht", beharrt der Angeklagte.

Nachdem er seine Meinung kundgetan hat, will S. vorwärts losgefahren sein, als die Dame plötzlich vor sein Auto sprang. Sie muss demnach um ihr eigenes herumgelaufen sein, ohne dass der Angeklagte das bemerkte. "Ich habe dann stark gebremst", gibt er zu. Als er hupte, habe die Gegnerin endlich den Weg freigemacht und noch mit der Polizei gedroht. "Waren Sie da auch ruhig?", fragt Klestil-Krausam. "Ja", ist der Angeklagte überzeugt.

"Aufgeführt wie Rumpelstilzchen"

"Ich darf die Aussage Ihrer Frau bei der Polizei zitieren: Demnach haben Sie und die Dame sich aufgeführt wie Rumpelstilzchen." H. kann sich diese Einschätzung nicht erklären, gibt aber zu, sich auf die Dame konzentriert zu haben und nicht auf etwaige Kalmierungsbemühungen seiner Gattin. "Ich habe auf meine Frau nicht geachtet."

Die andere Streitpartei will nur in Abwesenheit des Angeklagten aussagen. Die 56-jährige Zeugin gibt ihren Beruf als Unternehmensberaterin und Mediatorin an. "Irgendwo habe ich auch Konfliktmanagerin gelesen", ergänzt die Richterin noch. Erfolgreich scheint sie damit zu sein, zeigt ein Blick in das Internet, so berät sie Großunternehmen bei "Changeprozessen".

Sie erzählt die Angelegenheit so: Als sie zum Supermarkt kam, war der erste Parkplatz mit dem Mercedes besetzt. Nummer zwei und drei waren frei, auf dem vierten stand ein Klein-Lkw. "Ich habe mich daher auf den zweiten gestellt, um leichter aussteigen zu können." Der Mercedes sei zwar "nicht ganz mittig" gestanden, dennoch sei sie kein Hindernis für das Einsteigen gewesen, ist sie überzeugt. "Es war viel Platz. Man konnte, nicht bequem, aber ohne Hineinwurschteln, einsteigen."

Autotüren aufgerissen

Dennoch sei H. von hinten gekommen und habe geschimpft. "Ich habe dann eher forsch gesagt, dass ich dann wieder ausparke." Darauf sei der Angeklagte nicht eingegangen, sondern habe zweimal – beim Ablegen des Pakets und beim Einsteigen – seine Türen aufgerissen und dabei jeweils ihren Wagen touchiert.

Die Zeugin sagt, erst danach sei sie selbst ausgestiegen. H. habe ausgeparkt, aber nicht so, wie er es beschreibt. Sondern er sei rückwärts aus seiner Lücke weit nach hinten gefahren. "Dann ist er im Vorwärtsgang herangeschossen und hat 15 Zentimeter vor mir gebremst." Sie habe sich ordentlich geschreckt, H. habe gerufen: "Jetzt siehst Du, wie das ist, wenn es so eng ist!"

Sie beschloss, das Kennzeichen des Gegners zu fotografieren, und drohte damit, die Polizei zu benachrichtigen. Als sie dann ins Geschäft gehen wollte, sei H. ein zweites Mal herangebraust und habe nur wenige Zentimeter vor ihr gestoppt. Das habe auch ein Zeuge mitbekommen, der zum Missmut der Richterin wegen eines Abszesses am Lendenwirbel verhindert ist und sich von Klestil-Krausam belästigt fühlt, als sie ihn anruft, um einen Termin für die Vertagung zu vereinbaren.

Zwei Wochen Schlafprobleme

Die Konfliktmanagerin wurde durch den Zwischenfall jedenfalls traumatisiert, sagt sie. "Ich gehe seitdem dort nicht mehr einkaufen und passe beim Einparken extrem auf", erzählt sie. Zwei Wochen habe sie Schlafprobleme gehabt, erst als ihr die Polizei versicherte, dass H. nicht in ihrer Nähe wohne, habe sie sich beruhigt. "Das ist ein Mensch, der mir wirklich Angst macht", sagt sie über den Pensionisten. "Ich reise sehr viel, war auf Hawaii, als die Cruise-Missile-Meldung kam, da habe ich mir nichts gedacht", streut sie noch ein. Ihre Privatbeteiligtenvertreterin Barbara Günther schließt sich mit einer Forderung von 100 Euro für die erlittene Unbill an.

Da der Abszesspatient nicht kommt, ist H.s Gattin die letzte Zeugin des Tages. Sie verzichtet auf ihr Entschlagungsrecht als Angehörige – und erzählt dann eine völlig andere Geschichte als ihr Ehemann. So habe der den Wagen definitiv nicht vorschriftsmäßig abgestellt – "er hat eineinhalb Parkplätze gebraucht". Sie bestätigt aber, der Angeklagte habe die andere Fahrerin erst höflich ersucht, wegzufahren, erst danach habe sich der Ton geändert.

"Schau, dass d' wegkummst von der Narrischen"

Wovon diese Zeugin auch überzeugt ist: Noch während ihr Mann sich ins Fahrzeug zwängte, habe die Mediatorin bereits fotografiert. "Mein Eindruck war, die Dame ist einfach nicht weggegangen von unserem Auto", beschreibt Frau H., die auch einen Rat für ihren Mann parat hatte: "Schau, dass d' wegkummst von der Narrischen." An einen Rückwärts-U-Turn kann sie sich nicht erinnern, dafür an zwei scharfe Bremsungen. "Da hat es mich nach vorne gehaut. Ich hatte damals Rückenprobleme, das hat wehgetan."

Klestil-Krausam hofft wohl insgeheim, den Prozess doch ohne den fehlenden Zeugen mit einer Diversion abschließen zu können, was möglich wäre, wenn der Angeklagte Verantwortung übernimmt. Der will zwar grundsätzlich die Sache auch beenden, beharrt aber auf seiner Version, wonach er die Unternehmensberaterin nie bedroht habe. "Es geht ja nicht darum, was Sie subjektiv wollten, sondern ob es objektiv so war, wie die Dame sagt", ringt die Richterin um eine Aussage in diese Richtung. H. bleibt hart, daher muss auf 19. Februar vertagt werden. (Michael Möseneder, 5.2.2021)