Ist es nicht eigenartig, was beim Nachbarn Österreich momentan los ist, fragt sich der Bayrische Ministerpräsident Markus Söder – zu Recht. Auf der einen Seite munkelt man von einem Glassturz über Tirol, von der Quarantäne für ein ganzes Bundesland. Auf der anderen Seite, und das ist kein Gemunkel, sondern Fakt, sperren wir am Montag weite Teile der Gesellschaft wieder auf.

Das passt nicht zusammen, da hat Söder recht. Betrachten wir also die zwei Bereiche getrennt voneinander. Klar, Tirol hat ein Problem. Dort breitet sich die südafrikanische Mutationsvariante des Coronavirus munter aus, während mindestens ebenso munter internationale Gäste zum Skifahren kommen. Und politische Verantwortliche drücken sich vor der Verantwortung – wie schon im März des Vorjahres.

Ein Stück weiter östlich, in Salzburg, ist die Lage nicht wesentlich besser. Die Sieben-Tage-Inzidenzen sind so hoch wie nirgends sonst in Österreich, und ob Mutationen daran schuld sind, weiß man noch nicht einmal. Auch Kärnten steht schlechter da als die meisten Teile Österreichs.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder übt zurecht scharfe Kritik an den Lockerungen in Österreich.
Foto: imago images/Sammy Minkoff

Und trotzdem wird der Lockdown für das ganze Land gelockert. Vom Neusiedler bis zum Bodensee öffnen am Montag die Geschäfte wieder ihre Türen, werden Haare geschnitten und Rücken massiert. Es sei den Betreibern und Betreiberinnen vergönnt, genauso wie all den Zottelköpfen und Verspannten. Aber aus der Pandemie kommen wir so nicht raus, ganz im Gegenteil.

Auch wenn sich einzelne Flecken in Österreich recht positiv entwickeln – allen voran Wien, das als einzige Millionenstadt wieder Orange geschalten wurde –, ist die bundesweite Lockerung ein Fehler. Die Lage ist zu fragil, die Mutationen zu unberechenbar, eine Durchimpfung viel zu weit entfernt, als dass man derzeit an Erleichterungen denken kann. Egal, ob in Wien, in Tirol oder anderswo.

Vielmehr sollte die Politik sich überlegen, warum der Lockdown der vergangenen Wochen nicht funktioniert hat. Wir verzeichneten in den Tagen nach Weihnachten nur unwesentlich mehr tägliche Neuinfektionen als jetzt. 2191 Menschen sind seit dem 24. Dezember an oder mit dem Virus gestorben, das ist ein Viertel der gesamten Todesfälle seit Beginn der Pandemie. Wir haben ein Problem. Und das lösen wir nicht, indem wir die Regeln lockern. (Gabriele Scherndl, 5.2.2021)