In Belfast wird gegen die Kontrollen in der Irischen See protestiert, auf die London sich mit der EU geeinigt hatte, um den Brexit termingerecht durchzusetzen. Brüssel nahm sie ernster als gedacht, was auch in Irland für Ärger sorgt.

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Großbritanniens harter Brexit wirft fünf Wochen nach dem endgültigen Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion immer neue Probleme auf. Ohnehin bestehende Spannungen in Nordirland sind durch das Vorgehen der EU-Kommission im Impfstreit mit Astra Zeneca noch verstärkt worden. Die Stimmung zwischen der extrem europafreundlichen irischen Regierung und der Brüsseler Kommission wird in Dublin als "eisig" beschrieben; London fordert ultimativ Erleichterungen im neuerdings von EU-Kontrollen betroffenen Handel zwischen der britischen Hauptinsel und Nordirland.

Um die Landgrenze zwischen der Republik im Süden und dem britischen Nordteil der grünen Insel auch weiterhin offenzuhalten, gilt für Nordirland seit dem Brexit eine Ausnahmeregel. Dieses Protokoll im EU-Austrittsvertrag garantiert den weitgehend ungestörten Verbleib von ganz Irland im europäischen Binnenmarkt, führt aber zu Kontrollen zwischen der einstigen Unruheprovinz und der britischen Hauptinsel. Nur in Notfällen, so sieht es Artikel 16 des Protokolls vor, dürfe eine der Seiten auch die Landgrenze kontrollieren.

Brüssels "Fehler"

Genau diesen Passus wollte die EU-Kommission vergangene Woche nutzen, offenbar in der Annahme, Astra Zeneca werde die begehrten Impfdosen über Irland aus dem Binnenmarkt schmuggeln. Nach empörten und koordinierten Protesten der beiden Premierminister Michéal Martin (Dublin) und Boris Johnson (London) wurde die Regelung zurückgezogen und gilt nun in Brüssel als "Fehler". Doch seither ist das ohnehin bestehende Misstrauen der protestantischen, London-treuen Unionisten gegenüber Brüssel stark gestiegen. Graffiti in der Nähe nordirischer Häfen erklärten die dort arbeitenden Handelskontrolleure zu "Zielen" potenzieller Sabotage oder gar von Gewaltakten; diese wurden deshalb vorläufig vom Dienst befreit.

Am Mittwoch berieten die für die Ausgestaltung des Protokolls zuständigen Verantwortlichen in Brüssel und London, Vizekommissionschef Maroš Šefčovič und Kabinettsbürominister Michael Gove, mit den gleichberechtigten Regierungschefs der Belfaster Regionalregierung, Arlene Foster von der unionistischen DUP und Michelle O’Neill von der katholischen, nach Dublin hin orientierten Sinn Féin. Gove fordert ultimativ eine Verlängerung der bestehenden Übergangsfristen bis 2023, Foster will sogar ganz neu über das ungeliebte Protokoll verhandeln.

Hingegen spricht Šefčovič von der "ordentlichen Einführung" der geltenden Regeln. Ähnlich äußert sich auch der irische Außenminister Simon Coveney, der die EU-Kommission scharf kritisiert hatte: Das Protokoll sei als Brexit-Folge unabdingbar, allerdings solle seine Ausgestaltung pragmatisch gehandhabt werden.

Viel alter Fisch

Während die Nordiren den Brexit bei der Volksabstimmung 2016 mehrheitlich abgelehnt hatten, dürfte es kaum eine Berufsgruppe samt deren Umfeld geben, die damals dem EU-Austritt enthusiastischer das Wort redete als die Hochseefischer. Von einem "Meer der Möglichkeiten", schwärmten Brexiteers. Die Begeisterung ist verflogen, wie sich bei einer Anhörung der schottischen Fischverarbeitungsindustrie im Unterhaus herausstellte.
Dem bisher reibungslosen Export im Wert von zuletzt 1,4 Milliarden Pfund auf den Kontinent, überwiegend via Dover und Calais, stehen nun Berge von Formularen, penible Zollbeamte und überforderte Veterinärmediziner im Weg.

Im Jänner brachen die IT-Systeme beiderseits des Ärmelkanals zusammen. In Schottland selbst gibt es zu wenige Abfertigungsvorrichtungen, in denen die Fährgesellschaften die Frachtpapiere der Lastwagenfahrer prüfen können. Am zentralen Standort Larkhall südlich von Glasgow dauere die Prüfung je nach Tageszeit und der Genauigkeit der Beteiligten "zwischen 45 Minuten und zehneinhalb Stunden", klagt Jimmy Buchan von der Scottish Seafood Association. "Auf diese Weise verlieren wir das Vertrauen unserer Kunden, das wir in den vergangenen 40 Jahren erworben haben."

Erstaunen über Handelsbarrieren

Schuld am Chaos der vergangenen Wochen sei die "katastrophale Entscheidung, die neuen Bestimmungen in Echtzeit und mitten in einer Pandemie einzuführen", glaubt James Withers von der Interessengruppe Scottish Food and Drink. Anders als von Premier Johnson behauptet, habe der harte Brexit erhebliche Handelsbarrieren mit sich gebracht.

Vergeblich habe man um eine Übergangsfrist gebettelt. Während Großbritannien gegenüber Importeuren in der ersten Jahreshälfte großzügiges Verhalten an den Tag legt, pochte die EU vom ersten Tag an auf genauer Einhaltung der frisch vereinbarten Regeln. Mittlerweile weigere sich London, das Ausmaß der Schwierigkeiten zur Kenntnis zu nehmen. "Das sind keineswegs nur Übergangsprobleme." Der Chef einer der Mitgliedsfirmen von Withers habe die Situation auf den Punkt gebracht: Das Königreich sei das erste Land in der Geschichte, das sich selbst Wirtschaftssanktionen auferlege. (Sebastian Borger aus London, 5.2.2021)