Soll sich Vizekanzler Werner Kogler ein Beispiel an Matteo Renzi nehmen? Der Chef einer italienischen Kleinpartei hat wegen gewichtigeren Fragen als jener der mitleidslosen Abschiebung von drei Kindern die Koalition gesprengt. Damit stürzte er das Nachbarland in eine Regierungskrise, die nun nur ein parteiloser Wunderwuzzi lösen muss.

In Österreich hätte ein Ende der türkis-grünen Koalition wohl in Neuwahlen gemündet – inmitten einer Pandemie ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Aus diesem Urnengang würden wahrscheinlich ÖVP, FPÖ und sogar die SPÖ gestärkt hervorgehen. Die Chance für die Grünen, ihr Ergebnis von 2019 zu toppen, wären hingegen minimal: Bei einem Koalitionsbruch aus Gründen der Symbolpolitik hätten viele Wähler ihre Regierungsfähigkeit infrage gestellt.

All das hat die Führung der Grünen dem Land und der Partei erspart – wenn auch um einen hohen Preis an Ansehen und Moral. Man sollte ihr dafür danken. In zahllosen Staaten gibt es regelmäßig Regierungskrisen, weil Kleinparteien aus einer Koalition frühzeitig und oft aus nichtigem Anlass ausscheren.

Den Spagat zwischen mitregieren und sich selbst treu bleiben hat die grüne Parteispitze gar nicht so schlecht hinbekommen.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ein solcher Schritt hat neben inhaltlichen und persönlichen Ursachen oft auch strukturelle Gründe. Wer neben einem großen Partner als Mehrheitsbeschaffer dient, verliert an Rückhalt bei den Wählern, die ihrer Partei die vielen Kompromisse nicht verzeihen. Noch schwieriger wird es, wenn der Partner zumindest arithmetisch andere Koalitionsoptionen hat. Dann hilft nicht einmal die Drohung mit dem Bruch, um eigene Positionen durchzusetzen.

Zwickmühle

Manche Gruppierungen verzichten daher grundsätzlich auf Regierungsbeteiligungen und versäumen damit die Chance, überhaupt etwas durchzusetzen. Auch das kommt nicht immer gut an. Die FDP geriet in der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkels Räder und flog 2013 aus dem Bundestag. Aber auch die Absage ihres Parteichefs Christian Lindner an eine Ampelkoalition vier Jahre später ließ die Partei in den Umfragen zurückfallen.

Die Grünen befinden sich in einer ähnlichen Zwickmühle: Sie wollen mitregieren, aber sich dabei treu bleiben. Beides geht für eine Kleinpartei nicht, und schon gar nicht in einer Koalition ideologischer Gegensätze.

Dieses Dilemma hat die grüne Parteispitze gar nicht so schlecht gelöst. Sie hat mit ihrem lautstarken Protest gegen die Abschiebungen zwar keine roten, aber doch gelbe Linien gezogen. Sie gibt sich machtlos, aber nicht prinzipienlos – auch wenn ihr dies Teile der Basis nun vorwerfen. Und vielleicht wird Kanzler Sebastian Kurz das nächste Mal etwas zögern, bevor er die Grünen so gnadenlos demütigt. Denn der pflegsame Umgang mit dem Juniorpartner ist entscheidend für das Funktionieren einer Koalition. Dass er das kann, hat Kurz gegenüber der FPÖ zur Genüge gezeigt. Und auch er hat mittelfristig keine gute Alternative zu den Grünen.

Die größte Gefahr für die Grünen ist, dass ihnen Ähnliches in der Klimapolitik widerfährt, dass sie mit ihren ehrgeizigen Plänen an der Wirtschafts- und Bauernlobby in der ÖVP scheitern. Dann würde diese Koalition tatsächlich ihren Daseinszweck verlieren. Dem muss die Partei vorbeugen. Wenn sie jetzt beweisen will, dass sie auch Machtpolitik beherrscht, dann könnte sie versuchen, bei Klima und Umwelt kräftigere Pflöcke einzuschlagen. Etwas Ärger wird auch der türkise Partner aushalten. (Eric Frey, 5.2.2021)