"Cool" fand Karl Nehammer seinen Job bei Amtsantritt. Ein Jahr später dürfte sich die Arbeit als Innenminister zäher anfühlen.

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Innenminister sein, das kann schon etwas. Wer Karl Nehammer im Jänner 2020 erlebte, in diesem kurzen Zeitfenster nach der Regierungsangelobung und vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Österreich, der ahnte, wie sehr ihm sein neuer Job taugte. Gerade sei die Polizeieinheit Cobra bei ihm gewesen und habe erklärt, was sie so mache, erzählte Nehammer damals Journalisten: "Schon cool."

Etwas mehr als ein Jahr später dürfte sich die Arbeit im Innenministerium deutlich zäher anfühlen. Nehammer steht von vielen Seiten in der Kritik – meistens für Dinge, für die er zwar wenig kann, aber die politische Verantwortung trägt.

So flüchtet sich Nehammer derzeit in die Rolle des toughen Entscheidungsträgers, der mit hart kritisierten Abschiebungen von Kindern angeblich den Rechtsstaat wahrt. Damit kann er aber höchstens kurzfristig von den vielen Baustellen in seinem Ministerium ablenken.

1. Fehler vor dem Terror

Der 2. November 2020 ging als schwarzer Tag in die Geschichte Österreichs ein: Ein islamistischer Terrorist begann in der Wiener Innenstadt, um sich zu schießen; am Ende sind vier Unschuldige und der Attentäter tot. Die direkte Reaktion der Polizei wird rundum gelobt, vom ersten Notruf bis zum Ausschalten des Terroristen vergingen nur wenige Minuten.

Recht rasch wird allerdings publik, dass den Behörden im Vorfeld des Anschlags gravierende Fehler passiert sind. Slowakische Behörden warnten ihre Kollegen in Österreich, dass der spätere Terrorist im Sommer versucht hatte, Munition zu kaufen. Außerdem wird publik, dass der Verfassungsschutz dank Hinweisen aus Deutschland über ein internationales Treffen von Jihadisten in Wien Bescheid wusste, an dem auch der spätere Attentäter teilgenommen hatte. Justiz- und Innenministerium beriefen eine Untersuchungskommission ein, die kurz vor Weihnachten einen haarsträubenden Zwischenbericht ablieferte.

Warnhinweise seien übersehen, Informationen zu schlecht miteinander kombiniert worden – und die Kommunikation zwischen Bundes- und Wiener Landesamt für Verfassungsschutz schwer verbesserungswürdig, hieß es in dem Bericht. Am 10. Februar soll dessen Endfassung erscheinen, im Ministerium in der Wiener Herrengasse dürfte man auf diesen Termin hinzittern.

2. Das Chaos-Amt

Das krisengebeutelte BVT fiel nicht nur rund um den Terroranschlag negativ auf. 2018 war das Amt durch Ermittlungen samt später als rechtswidrig erklärter Razzia an den Rande des Zusammenbruchs gebracht worden. Verantwortlich dafür war auch der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), dessen Umfeld die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) befeuert hatte.

Drei Jahre später wird klar, dass einige der Personen, die damals als Belastungszeugen die BVT-Affäre mitausgelöst hatten, selbst in dubiose Vorgänge verwickelt sind. So half der einstige Abteilungsleiter Martin W. im Sommer 2020 dem damaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek bei dessen Flucht aus Europa. Ein weiterer Verfassungsschützer soll illegal für W. und Marsalek Daten abgefragt haben, er bestreitet das.

Wieder einmal kracht es also in einer der sensibelsten Einrichtungen der Republik. Die ÖVP versucht zwar, die Schuld dafür bei Kickl abzuladen, doch der Verfassungsschutz kämpfte schon seit seiner Entstehung im Jahr 2001 mit Problemen.

Jahrelang wurde politisch auf Postenbestellungen Einfluss genommen, vermutlich auch auf Ermittlungen – und zwar von der ÖVP. Um Mitarbeiter zu halten, durften diese zahlreichen Nebenbeschäftigungen nachgehen. Die lasche Compliance führte zu zahlreichen Interessenskonflikten, im Amt sah man aber lieber weg.

3. Wickel um Demos

Hart durchgreifen wollte Nehammer gegen Teilnehmer von Corona-Demos, die Vorschriften ignorieren. Doch bei einer ersten Großdemo Mitte Jänner wurden nur wenige Verstöße geahndet. Dabei soll es sich um eine bewusste Strategie der Wiener Polizei gehandelt haben, die damit Nehammers Wunsch ignorierte. Die nächste Großdemo wurde zwar untersagt, dennoch versammelten sich tausende "Spaziergänger", die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrierten.

Organisiert wurde die Veranstaltung von Rechtsextremen mit Unterstützung von teils antisemitischen Verschwörungstheoretikern und Neonazis. Es nahmen aber auch viele nicht rechte Maßnahmenkritiker teil, die kein besseres Ventil für ihren Protest fanden als mit Rechtsextremen zu marschieren. So waren viele rechtsradikale und antisemitische Transparente und Symbole (etwa Judensterne mit "Ungeimpft") zu sehen, Redner verbreiteten auf der Bühne verschwörungstheoretische Inhalte. Dies wurde von einigen Maßnahmenkritikern, die sich nicht als Rechte verstehen, ignoriert oder übersehen.

Im BVT läuten wegen der Zusammensetzung der Szene jedenfalls seit Monaten die Alarmglocken. Doch auch vergangenes Wochenende setzte die Wiener Polizei nicht auf die vom Ministerium gewünschte Härte, sondern auf Deeskalation. Trotzdem stellte sich Nehammer gemeinsam mit dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl vor die Kameras, um Einigkeit zu demonstrieren. Das führte wiederum zu Kritik der Grünen an den beiden.

4. Und nun?

Mit den Abschiebungen von in Österreich aufgewachsenen Kindern hat Nehammer die Parteien links der Mitte gegen sich aufgebracht. Wegen der untersagten Demos schießt sich die FPÖ auf ihn ein. Zwar wurzeln die meisten Probleme im Ministerium weit vor Nehammers Amtszeit. Dennoch war es seine Partei, die das Innenministerium erst in diesen Zustand gebracht hat.

Das begann im Jahr 2000 unter Ernst Strasser, der in einem TV-Interview erzählte, dass bei seinem Amtsantritt "selbst die Maus rot eingefärbt" gewesen war. Er habe ein "rot-weiß-rotes" Ministerium daraus gemacht. Meinte er nicht schwarz? "Jeder kann die Farbauswahl für sich entscheiden, wie er will", sagte Strasser. Natürlich lag Strasser nicht ganz falsch: Auch rote Minister protegierten ihre Genossen, Kickl versuchte das mit FPÖ-nahen Polizisten.

Aber so umfassend und nachhaltig wie ab Strasser gelang es nur der ÖVP von 2000 bis 2017. Dass mit Nehammer ein einstiger türkiser Parteigeneral an der Ministeriumsspitze steht, sorgt für wenig Vertrauen in Objektivität.

Eine Abgabe des Innenministeriums an eine andere Partei als die ÖVP – vor allem nach den Erfahrungen in der kurzen Ära Kickl – ist aber unvorstellbar. So bleibt es an Nehammer, sich von Strassers Vermächtnis zu emanzipieren oder in erster Linie Parteisoldat zu bleiben. (Fabian Schmid, 6.2.2021)