Der Tiroler Landeshauptmann Platter schüttelt Fehlleistungen aus seiner Landesregierung ab wie Tiere ein ungewolltes Bad, sagt Politik- und Medienberater Peter Plaikner im Gastkommentar. Solange ihm der Ausgleich zwischen Stadt und Land gelinge, bleibe Platter im Amt.

Ein "Aktionsplan für Tirol" soll die Ausbreitung von Virusmutationen begrenzen. Für eine Isolation des Landes sah Günther Platter keinen Grund.
Foto: APA / EXPA / Johann Groder

Günther Platter ist länger als alle anderen aktuellen Landeshauptleute – 4603 Tage – im Dienst. 35 Jahre in der Politik, Gemeinderat und Bürgermeister, 1994 erstmals im Nationalrat, Landesrat und Minister, der einzige noch aktive Politiker aus einer Regierung Schüssel, der letzte amtierende Überlebende von Schwarz-Blau I – und jetzt das: Seit bald einem Jahr zerstört die Pandemie die Lebensbilanz des Mannes aus Zams. Er kommt nicht zurande mit den Herausforderungen von Corona. Sein Land wirkt außer Kontrolle. Alle schauen auf das brennende Haus, nur nicht Günther, der schaut raus.

"Im Land bemüht er die Mär vom Widerstand, das geradezu konstitutive Motiv der Region: vereint im Kampf gegen den Außenfeind – wenn schon nicht mehr Italien, dann wenigstens noch die Wiener."

Diese Adaption eines "Alle Kinder"-Witzes aus der Dekade von Platters politischer Professionalisierung beschreibt gut den Widerspruch des Fremd- und Selbstbilds von ihm und Tirol. Im Land bemüht er die Mär vom Widerstand, das geradezu konstitutive Motiv der Region: vereint im Kampf gegen den Außenfeind – wenn schon nicht mehr Italien, dann wenigstens noch die Wiener. Ein Synonym für Restösterreich, sobald es dem älplerischen Brachialcharme nicht mehr erliegt. Das ist schon seit elf Monaten der Fall. Und je heftiger die – in Eigensicht – älteste Festlanddemokratie attackiert wird, desto sturer reagiert dieser politische Überlebenskünstler, den sie just an seinem Geburtstag zuletzt in der ORF-Pressestunde hatten. Da gemahnte er an den terminlich passenden Evergreen Mit 66 Jahren von Udo Jürgens: "Und sehen mich die Leute entrüstet an und streng; dann sag ich: ,Meine Lieben, ihr seht das viel zu eng.‘" Am 7. Juni 2020 war der "Luder"-Sager seines Stellvertreters Josef Geisler über die Umweltexpertin Marianne Götsch gerade erst vier Tage alt.

Schritt- und Mitmacher

Doch Platter, der soeben die ärgsten Ischgl-Nachwehen überwunden glaubte, schüttelte auch die nächste Fehlleistung aus seiner Landesregierung ab wie Tiere ein ungewolltes Bad. Dass seine grüne Partnerin Ingrid Felipe, an die Geisler das Unwort gerichtet hatte, diese Affäre ähnlich unbeeindruckt durchtaucht hat, sagt viel über Tirol in der Ära seines zweitlängstdienenden Landeshauptmanns. Es hat selbstzufrieden bis -gefällig seine gesellschaftlichen Standards derart entkoppelt, dass sie nicht einmal dem allzu großer politischer Korrektheit unverdächtigen österreichischen Regionalniveau entsprechen.

"Keine Partei wagt, gegen die
dominierende Stimmung im Land aufzutreten."

Das erklärt auch, warum sich nun gemeinsam mit der Koalition alle Oppositionsparteien massiv gegen eine Abschottung Tirols wegen der Südafrika-Mutante einsetzen. Keine wagt, gegen die dominierende Stimmung im Land aufzutreten – ungeachtet der dahintersteckenden Egoismen. Das verheerende Bild, das diese zur Selbstreflexion offenbar unfähige politische Kommunikation nach außen bietet, ist ihnen zweitrangig. Priorität hat ihre parteiliche Zweitrangigkeit. SPÖ und FPÖ wären zu gern statt der Grünen Juniorpartner der ÖVP, die laut jüngsten Umfragen bei ihrem Ergebnis der Landtagswahl 2018 liegt: 44 Prozent. Während Restösterreich sich immer mehr wundert, dass es hier weder Regierungsumbildung noch Neuwahl gibt, fürchten die Mitmacher in einem solchen Fall gar eine absolute Mehrheit der Volkspartei. Ihre Selbstverständnispolitik hat ganze Arbeit geleistet.

Neureiche Touristiker

Platter ist von außen betrachtet das Gesicht der Krise, von innen jedoch die Verkörperung einer restaurativen Erfolgsstrategie. Denn nach 24 Jahren unter dem idolisierten Landeshauptmann Eduard Wallnöfer hatte sich die ÖVP ab 1987 schrittweise fortentwickelt in eine ihrem Bauernbund weniger zuträgliche Modernität. Die Rückkehr des nach schweren innerparteilichen Zerwürfnissen zuvor als Innen- und Verteidigungsminister nach Wien wegkomplimentierten Platter 2008 als Landeshauptmann war eine multiple Zäsur. Nach den Akademikern Alois Partl, Wendelin Weingartner und Herwig van Staa wieder ein Bodenständiger – zwar aus dem ÖAAB, aber ganz nach Geschmack des strategisch agierenden Bauernbundes.

Mittlerweile haben einst arme Landwirte als neureiche Touristiker den Wirtschaftsbund gekapert. So wie sie die heimliche Macht im Land sind, ist sein Chef, Seilbahnsprecher Franz Hörl, der wahre Dirigent der Kammer. Ihr Präsident Christoph Walser, dessen Familie aus Ischgl stammt, gilt seit Geislers Verbalunfall als chancenreichster Kandidat für Platters Nachfolge. Sie entscheidet sich kaum vor der nächsten Legislaturperiode. Und die beginnt wohl erst 2023. Unterdessen ist auch die lange offene Flanke AK beruhigt, auch wenn deren ÖAAB-Präsident Erwin Zangerl als Nachfolger des Parteirenegaten Fritz Dinkhauser mitunter die Rebellenattitüde hochhält. Mit dieser Zwei-Marken-Strategie minimiert die ÖVP seit Jahrzehnten die Arbeitnehmerzielgruppen von SPÖ und FPÖ. Zangerl reicht es, der zweitbeliebteste Politiker in Tirol zu sein.

Noch geht es Tirol gut

Das Land hat sich unter Platter verändert. Mit dem Credo "die geringste Verschuldung, das stärkste Wirtschaftswachstum und die niedrigste Arbeitslosigkeit" hielt er die Widerständigen klein. Durch die rustikale Selbstdarstellung machte er das touristisch geprägte Ländliche groß. Innsbruck reagiert darauf mit Ignoranz. Die Beteiligung an Landtagswahlen liegt hier unter 60 Prozent. Man hat sich aneinander gewöhnt. Die Universitätsstadt an ihn, er sich an sie. Obwohl Stadt und Land auch hier immer mehr auseinanderdriften. Platter, im Sternzeichen Zwilling, sucht immer den Ausgleich. Solange es Tirol gutgeht, gelingt ihm das im Land. Es hatte im Jänner um 132 Prozent mehr Menschen ohne Job als im Vorjahr – aber trotzdem eine geringere Arbeitslosenquote als Kärnten.

Noch geht es Tirol gut. Solange das so bleibt, ist Platter ungefährdet – und lassen sie ihn nicht gehen, der immer mehr Figur als Spieler war. Am 3. März 2032 wäre er gleich lang im Amt wie Eduard Wallnöfer. Mit 77 Jahren … (Peter Plaikner, 7.2.2021)