Diesmal steht Tirol wegen der Verbreitung der südafrikanischen Virusmutation unter Beobachtung. Das deutsche Robert-Koch-Institut ärgert sich über den Skibetrieb im Nachbarland.

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Die Virologen sind besorgt, die deutschen Nachbarn machen Druck. Der Gesundheitsminister will am Sonntag einen Aktionsplan vorstellen. In Südtirol lässt sich in der Zwischenzeit der Worst Case beobachten.

Tirol sorgt wieder für Aufruhr. Nach Ischgl geht es diesmal um die dort verbreitete südafrikanische Variante des Coronavirus. Jetzt überlegt die Bundesregierung sogar, das gesamte Bundesland zu isolieren. Unter Experten ist man uneins, wie es weitergehen soll: Einige wollen zumindest Teile Tirols sperren, andere sind der Meinung, die neue Virusvariante lasse sich sowieso nicht aufhalten.

Wien ist Orange

Die nackten Daten lassen die Isolierung Tirols auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheinen. Aktuell zeigen Kärnten und Salzburg mit 121,5 beziehungsweise 178,7 Fällen pro 100.000 Einwohnern eine viel höhere Inzidenzrate als Tirol. Tirol liegt mit 102,2 in der Mitte des Länderrankings. Weit bessere Zahlen hat derzeit Wien, das auch als einziges Bundesland von der Corona-Kommission wieder auf Orange geschaltet wurde.

Doch Experten sind der Ansicht, dass nicht unbedingt die Fallzahlen, sondern die Verbreitung der neuartigen Virusvarianten entscheidend sind – besonders jene Variante, die zuerst in Südafrika nachgewiesen wurde.

Warten auf Proben

Der Forscher, der in Österreich aktuell wohl mit den besten Überblick über die Verbreitung der Virusvarianten hat, ist Ulrich Elling vom IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW) in Wien. Elling entwickelte eine schnelle Teilsequenzierung, die aber die für die Mutanten B.1.1.7 oder B.1.351 relevanten Teile des Genoms abdeckt.

Die Genomforscher vom IMBA analysierten bislang insgesamt 5000 Proben aus ganz Österreich auf diese Weise. Darunter waren auch 500 zufällig ausgewählte Fälle aus Tirol, dabei die bereits öffentlich gemachten 75 Fälle der südafrikanischen Variante B.1.351. "Diese Häufung von B.1.351 in Tirol ist für Österreich einzigartig", bestätigt Elling im Gespräch mit dem STANDARD. In anderen Bundesländern komme diese Variante so gut wie nicht vor. "Was sich daraus aber nicht ablesen lässt, ist die aktuelle Verbreitung der südafrikanischen Variante in Tirol", sagt Elling.

Deutsche Nachbarn in Sorge

Dass nur mehr eine dieser 75 betroffenen Personen ansteckend sei, wie das Land am Freitag bekanntgab, lasse keinesfalls darauf schließen, dass man die südafrikanische Variante eingedämmt habe, sagt Elling. Er hält aber auch nichts von einer Dramatisierung der Lage, da dazu die Datengrundlage fehle: So habe die Virologin Dorothee von Laer nur rund 40 Proben, noch dazu aus einem B.1.351-Cluster, analysiert, die keineswegs repräsentativ gewesen seien.

Einen etwas besseren Überblick werden die 400 neuen Tiroler Proben geben, die derzeit untersucht werden. Am Samstag wisse man dann, ob die südafrikanische Variante in Tirol Fuß gefasst hat oder ob der Glücksfall eingetreten ist, dass sich die bereits bekannten Cluster haben eindämmen lassen.

Mit Argusaugen beobachtet man die Entwicklung jedenfalls in Deutschland. So kritisiert der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die hierzulande geplanten Lockerungen. "Lieber einen Schritt langsamer, als es dann am Ende wieder verstolpern", sagte er in einer ZDF-Talkshow. Die "Kombination aus einer Mutation und einer überstürzten Lockerung" sei nicht der "dritte Weg", sondern "der schlechteste Weg". Wenn Österreich nun mit "hoher Inzidenz" Lockerungen zulasse, dann fehle bei einem neuen Lockdown die Akzeptanz der Bevölkerung.

Robert Koch-Institut kritisiert Skifahrer

Kritik kommt auch vom Chef des deutschen Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Die südafrikanische Mutation habe sich in Tirol ausgebreitet, weil sehr viele Menschen sich dort Skiurlaub geleistet hätten, "vermeintlich unter der Arbeitserlaubnis, Skilehrer zu sein". Wieler: "Das ist ein Geschehen, das hätte vermieden werden können." Auch in bayerischen Regierungskreisen ist man sauer. "Alle Umgehungsstrategien" seien zu unterlassen, heißt es im Gespräch mit dem STANDARD.

Warum schauen überhaupt alle nach Tirol und nicht zum Beispiel nach Salzburg? Das Bundesland liegt seit Wochen mit der Sieben-Tage-Inzidenz an der Spitze. Im Büro von Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) schließt man auch die Quarantäne einzelner Gemeinden nicht aus, sollte die Virusmutation bereits im Land verbreitet sein.

Südtirol im Lockdown

Das befürwortet auch der Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna. Das Gebot der Stunde sei, frühzeitig zu reagieren, um Mutationen lokal einzugrenzen. Natürlich müsse man den Umständen geschuldet unter "höchster Unsicherheit und unklarer Datenlage" Entscheidungen treffen. Dennoch zeigt er sich überrascht, dass man die Möglichkeit der lokalen Isolation, wie etwa die damalige Quarantäne der Salzburger Gemeinde Kuchl, nicht auch in Tirol stärker einsetze.

Tirols Nachbarn in Südtirol werden wegen der Virusmutation gerade wieder für drei Wochen in den harten Lockdown geschickt. In den meisten italienischen Regionen geht man zeitlich den umgekehrten Weg: Es wird gelockert. Das ist ab Montag auch in Österreich geplant. (Birgit Baumann, Laurin Lorenz, Karin Riss, Klaus Taschwer, 5.2.2021)