Jeden Abend um 20 Uhr wird in vielen Teilen des Landes getrommelt.

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Auf der Straße stehen ein paar Leute, es ist Abend in Myo Thar, dem kleinen Ort rund 60 Kilometer von der burmesischen Großstadt Mandalay entfernt. Vor ihren Häusern trommeln einige Bewohner auf silberne Pfannen und Teller, mit Kochlöffeln. Die Kamera schwenkt vom Hauseingang auf die Straße, die durch den Ort führt. Vor fast allen Häusern stehen Leute und machen das Gleiche. Der Lärm ist unerträglich, das Trommeln hört nicht auf. Nach einigen Minuten sieht man Sicherheitskräfte auftauchen, die einen Burschen in Handschellen legen. Während das Trommeln langsam verstummt, protestiert die Familie laut. Immer mehr Nachbarn eilen herbei. Viele zücken ihre Smartphones und beginnen ebenfalls zu filmen.

Ob der Bursche am Ende mitgenommen wurde oder nicht, lässt sich aus dem Video nicht schließen. Das Video wurde aber seit Freitag fast 200.000 Mal auf Facebook angeklickt und über 70.000 geteilt. Am Freitag wies die Regierung Internet-Anbieter an, nach Facebook auch den Zugriff auf Twitter und Instagram zu sperren.

Ein anderes Video aus Myanmar zeigt einen ganzen Wohnblock in Rangun, der größten Stadt Myanmars. Manche Wohnungen sind erleuchtet, auf einigen Balkonen stehen Menschen. Zu sehen ist sonst nicht viel, aber die Geräuschkulisse schmerzt in den Ohren. Seit Tagen durchzieht der klirrende Lärm des aufeinanderprallenden Blechs jeden Abend um 20 Uhr die Stadt, geben Quellen gegenüber dem STANDARD an.

In Myanmar trommelt man traditionell eigentlich, um böse Geister zu vertreiben. Doch seit dieser Woche tun es die Menschen, um die Generäle zu vertreiben, die am Montag die NLD von de-facto-Staatschefin Aung San Suu Kyi aus der Regierung geputscht haben.

"Tyrannosaurus von Asien"

General Min Aung Hlaing hat das Land nun fest im Griff. Ein Jahr soll der Ausnahmezustand dauern. "Der letzte Tyrannosaurus von Asien", steht auf einem Poster, das Hlaings Gesicht zeigt und am Donnerstagabend in Bangkok vor der burmesischen Botschaft verbrannt wurde.

Solche Aktionen sollen in Myanmar selbst vermieden werden. Denn zu oft schon hat das Land gesehen, was die Militärjunta macht, wenn die Proteste auf den Straßen zu aggressiv werden. 1988 während der Demokratiebewegung, in der Aung San Suu Kyi groß wurde. Und auch 2007, als tausende Menschen, angeleitet von buddhistischen Mönchen, bei der Safran-Revolution durch die Straßen zogen. Immer griff das Militär hart durch, immer wurde geschossen, immer starben Menschen.

Auch jetzt gebe es angeblich schon Schießbefehle, heißt es in einer Stellungnahme der NLD, die sie in den sozialen Medien verteilte. Die gedisste Parteiführung ruft zu Protesten gegen den Sturz auf, allerdings online. Unter dem Schlagwort "Civil Disobedience Movement" (CDM) formieren sich nun immer größere Proteste.

"Ready for 8pm. Civil Disobedience", steht auf einem Foto, auf dem Töpfe und Pfannen auf einem Balkonsims bereitliegen. Andere Bilder auf Twitter zeigen völlig verbeulte silberne Teller, die mit dem Schriftzug untermalt sind: "The only weapons we have".

Rote T-Shirts und Luftballons

Wer am Abend durch die Straßen von Yangon zieht, kann an vielen Orten rote Luftballons oder rote Fahnen sehen. Rot ist die Farbe der NLD-Partei. Viele Menschen tragen auch rote Kleidung oder hängen rote Wäsche vor die Wohnungen. Zum Zeichen des Protests tragen auch immer mehr Leute eine rote Schleife an der Brust oder im Haar. An manchen Ecken stimmen Menschen in Protestlieder der 1988er-Generation ein, wie auf Videos zu hören ist.

Andere strecken drei Finger wie in der TV-Serie "Hunger Games" in die Höhe – ein Protestsymbol, das bereits bei den Demonstrationen in Thailand im vergangenen Spätsommer aufgetaucht ist und auch von Demonstrierenden in Hongkong verwendet wurde.

Außerdem haben sich Aktivisten mit Fotos von Teebeuteln der sogenannten "Milchtee-Allianz" angeschlossen. Das ist eine lose Onlinekampagne, bei der sich Protestierende aus Hongkong, Thailand, Taiwan – und jetzt auch Myanmar solidarisieren.

Begonnen haben die CDM-Proteste ursprünglich im Gesundheitssektor mit Streiks, die sich dann auch auf den Bildungssektor ausgeweitet haben. Viele Universitäten, darunter auch staatliche, haben sich den Protesten angeschlossen. Sogar Mitarbeiter von Ministerien haben sich auf sozialen Medien mit der roten Schleife oder dem Dreifingergruß gezeigt.

Soldaten unter Druck

Auch in den Reihen des Militärs und der Polizei selbst gibt es Sympathisanten mit der Bewegung. Am Freitag machte ein geleakter Brief eines Soldaten die Runde, in dem er anonym die Schwierigkeiten schildert, in denen sich nun die Militärangehörigen befänden. Wie sich die Situation in Myanmar weiter entwickelt, wird auch davon abhängen, wie sich diese Bevölkerungsgruppe in den nächsten Tagen verhält.

Die Militärregierung geht jedenfalls mit zunehmender Härte gegen die Protestierenden vor. Bis Freitag wurden etliche Trommler festgenommen. Auch Menschen, die das Tragen von roten Schleifen organisieren, wurden verhaftet. Am Freitag beobachteten Menschen verstärkte Militärpräsenz durch Panzer in Rangun.

Doch nicht nur in Myanmar selbst, auch international gab es im Laufe der Woche zahlreiche Solidaritätskundgebungen und Proteste. In Thailand gingen zahlreiche Menschen auf die Straßen. Dort wurde im vergangenen Jahr ebenfalls häufig gegen die eigene Militärregierung protestiert. In Südkorea, Indonesien und in Indiens Hauptstadt Delhi gab es am Freitag ebenfalls Protestaktionen. Auch in Wien ist am Samstag eine Kundgebung geplant, bei der als Zeichen der Solidarität mit Töpfen geschlagen und ein Protestlied gesungen werden soll. (Anna Sawerthal, 5.2.2021)