Rettungskräfte suchen nach Verschütteten.

Foto: AFP/Indo Tibetan Border Police

Neu-Delhi – Beim Abbruch eines Himalaja-Gletschers sind in Nordindien nach Befürchtungen der Behörden am Sonntag mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. Laut indischen Medien wurden an der Unglücksstelle im Bundesstaat Uttarakhand bisher mindestens 19 Personen tot geborgen.

Die Suche nach den rund 125 Vermissten ging auch am Montag weiter und soll noch 24 bis 48 Stunden weitergeführt werden. Etwa 400 Soldaten würden zur Rettung in den abgelegenen Bergen eingesetzt, erklärte der Katastrophenschutz am Montag. Viele Menschen waren offenbar von einer riesigen Flutwelle mitgerissen worden.

Die Rettungskräfte konzentrieren sich auf einen 2,5 Kilometer langen Tunnel, in dem laut Polizeiangaben vermutlich 30 bis 35 Arbeiter von Wasserkraftwerken eingeschlossen sind. Es gebe noch keinen Sprachkontakt mit den Verschütteten, sagte ein Polizeibeamter. Am Sonntag konnten zwölf Menschen aus einem anderen Tunnel gerettet werden.

Der Gletscher sei in einen Damm gerauscht und habe eine Lawine aus Geröll und Wasser ausgelöst, die flussabwärts gestürzt sei, berichtete ein Augenzeuge. Dörfer seien wegen der Überschwemmungen evakuiert worden. Einheimische befürchteten, dass Arbeiter an einem nahe gelegenen Wasserkraftprojekt ebenso mitgerissen wurden wie Dorfbewohner, die in der Nähe des Flusses auf der Suche nach Feuerholz waren oder ihr Vieh weideten.

Das Unglück ereignete sich in der Gegend um Joshimath im nordindischen Bundesstaat Uttarakhand. Die Gegend liegt bereits hoch im Himalaja-Gebirge, weit in Richtung Grenze zu Tibet. Nach Angaben von S. N. Pradhan, dem Vorsitzenden des indischen Katastrophenschutzes, wurde eine Brücke weggeschwemmt und ein Elektrizitätswerk beschädigt. Später stellte sich heraus, dass jedenfalls die beiden Wasserkraftwerke Tapovan und Rishigang betroffen seien.

Der gesamte Gletscher hatte begonnen, sich flussabwärts zu bewegen. Tiefer im Tal gelegene Dörfer wurden gewarnt. Es wurden auch Evakuierungen in die Wege geleitet, gab Pradhan an. Am Sonntagnachmittag kam die Entwarnung von der Regierung, dass die Gefahr eines steigenden Wasserpegels gebannt sei und die Nachbardörfer nicht in Gefahr seien.

Intensive Verbauung durch Wasserkraftwerke

Klimaaktivisten warnen bereits seit Jahren vor derartigen Katastrophen im Himalaja. Der Klimawandel führt zur Gletscherschmelze im höchsten Gebirge der Welt. Hinzu kommt die intensive Bebauung der Flüsse. Auf beiden Seiten des Hauptkamms wurden in den vergangenen Jahren dutzende Wasserkraftwerke errichtet, manche davon von enormer Größe. Vor allem die zwei großen Nachbarn China und Indien, nördlich und südlich des Gebirges, liefern sich seit Jahren ein regelrechtes Rennen darum, wer schneller die Flüsse bebaut.

Die Werke sollen einerseits den steigenden Energiebedarf der großen Bevölkerungen stillen. Andererseits verändern die technologischen Eingriffe das fragile Ökosystem im Gebirge und weiter stromabwärts. Das Himalaja-Gebirge ist Quellgebiet von fast allen großen Flüssen, die den asiatischen Kontinent mit Wasser versorgen.

Der indische Premierminister Narandra Modi gab am Sonntag bekannt, dass er für die Sicherheit aller bete. Die Regierung werde jede erdenklich Hilfe leisten.

(APA, saw, 7.2.2021)