Die Polizei kontrolliert die Restaurants in Paris sehr strikt.

Foto: AFP/STEPHANE DE SAKUTIN

Stéphane Pinabel muss noch selber schmunzeln, wenn er erzählt, wie die Kunden beim Eintreffen der Polizei eiligst aus dem Fenster geklettert seien. Abgesehen davon hat der gesellige Wirt mit dem imposanten Bizeps nichts mehr zu lachen. "Wir haben nicht nur unsere Arbeit verloren, sondern auch den Spaß", sagt er mit bitterem Ton.

Seit einem Jahr ist "Le Village", wie das einzige Café in Auvernaux heißt, covid-19-bedingt geschlossen. Hinter dem Tresen wirkt Pinabel wie verloren. Es ist sehr still. Keine Kaffeemaschine zischt, keine Kasse klimpert. Nicht einmal ein Kunde da, um über den Lauf der Welt zu schimpfen. Auch die Pferdewette "PMU" in der Ecke des Bistros ist außer Betrieb.

Der 49-jährige Wirt darf nur noch über die Straße verkaufen – "à emporter", wie man das Takeaway in Frankreich nennt. Hier eine Flasche Wein, dort eine Portion "moules frites" (Muscheln mit Pommes), mehr nicht. Pinabel gibt sich Mühe, er hat sogar schon Kalbskopf bereitet. Aber die Kundschaft ist rar, hier im grünen Gürtel um Paris, 40 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. "Le Village" ist nicht nur das einzige Café, sondern das einzige Gewerbe im 300-Seelen-Ort. Ohne das Bistro ist Auvernaux tot.

Am Rand des Ruins

Wie dem « Village » geht es vielen Restaurants und Cafés in Frankreich. Die Covid-Pandemie bringt sie an den Rand des Ruins und der Verzweiflung. Das schleichende Lokalsterben, das in Frankreich seit Jahrzehnten grassiert, droht sich in einen richtigen Aderlasse zu verwandeln: Laut Branchenschätzungen könnte nun ein Drittel der verbliebenen 25.000 Restaurationsbetriebe Konkurs machen.

Die Krise ist für viele psychisch und finanziell enorm belastend. Die Regierung unterstützt die Branche mit einem Solidarfonds. Bis zu 12.000 Euro gibt es pro Monat und Etablissement. "Aber wenn man das Doppelte an festen Auslagen hat, genügt auch das nicht", meint Pinabel.

"Lasst uns arbeiten!"

Ende Jänner hatte er genug vom Warten auf bessere Zeiten. Und er war nicht der einzige. In vielen Städten gingen die Wirte auf die Straße, skandierten "Lasst uns arbeiten!" Zuvor hatte die Regierung ihren ursprünglichen Plan, die Gaststätten ab dem 20. Jänner wieder zu öffnen, fallengelassen. Für viele Restaurants bedeutet das den Todesstoß.

Einzelne Wirte begehren nun auf. Auch Pinabel lud Anfang Februar frühere Stammgäste ins "Village" ein – Fernfahrer, Maurer, Mechaniker, Rentner. Der Wirt sagt, er habe "wieder einmal fühlen wollen, wie es ist, wenn ein Kunde zu dir an die Bar kommt und sagt, das Essen habe ihm gemundet."

Soweit kam es allerdings gar nicht. Nach den zwanzig Kunden, die an jenem Mittag im "Village" speisten, fuhren auch die Gendarmen vor. Stéphane Pinabel hatte gerade noch Zeit, seine Gäste zu warnen. Sie verließen den Speisesaal über ein Fenster. Der Wirt kam mehrere Stunden lang in Untersuchungshaft. Jetzt wartet er auf den Gerichtstermin.

Zurück zum Takeaway

Der Freizeit-Rugbyspieler hofft, dass es bei einer Strafe bleibt. Zudem droht Wirtschafsminister Bruno Le Maire mit dem einmonatigen Entzug des Solidarfonds-Geldes, wenn man das Bewirtungsverbot umgeht. Im Wiederholungsfall wird der Fonds ganz gestrichen. "Das kann ich mir nicht leisten", sagt Pinabel, der nun wohl oder übel zum Takeaway-Dienst zurückkehrt.

Der 49-jährige Stéphane Pinabel hat sein Lokal trotz Maßnahmen aufgesperrt.
Foto: Stefan Brändle

Wütend ist der Wirt weniger auf die Regierung als auf den Branchenverband Umih, der sich selber gegen die "restaurants clandestins" (illegale Restaurants) ausgesprochen hat, also gegen jene, die wie "Le Village" Gäste bewirtet hatten. "Unsere eigenen Leute verstehen nicht, dass wir am Abgrund stehen," klagt Pinabel.

Die Polizei geht hart vor. Dass die Gastronomie zu Frankreich gehört wie der Eiffelturm zu Paris, ist ihr einerlei. Präsident Emmanuel Macron hat Weisung ausgegeben, keine Ausnahmen zu tolerieren. Vermutlich hat der Präsident Angst vor einer Revolte der "bistrotiers" (Bistrowirte), die sich rasch zu einem Volksaufstand mausern könnte.

Richter beim Mittagessen erwischt

Nicht nur auf dem Land, in Auvernaux, sondern bis ins Herz von Paris wüten die Kontrolleure: Auf der zentralen Seine-Insel Ile de la Cité erwischten sie in der Brasserie L’Annexe mehrere Richter des benachbarten Justizpalastes beim heimlichen Mittagessen.

Wenn sogar Gerichtsbeamte das Verbot missachten, dann spricht das Bände über die Sehnsucht der Franzosen, ihre angestammten Alltagsbereich wieder vorzufinden: das Bistro für den Morgenkaffee, die Quartierkneipe mit den rotweiß karierten Tischtüchern, das Sternerestaurant für besondere Anlässe oder, nach dem Theaterbesuch in Paris, die laute Brasserie um Mitternacht.

"Mitternacht?", flachst Pinabel mit Verweis auf die Sperrstunde, die Macron unlängst auf 18 Uhr vorverlegt hat: "Was ist das schon wieder?" Und das sagt der traurige Wirt ohne jedes Lächeln. (Stefan Brändle aus Paris, 7.2.2021)