Regelmäßiges Händewaschen ist eines der besten Mittel, um sich vor diversen Infektionskrankheiten zu schützen.

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Weniger Erkältungen, weniger Magen-Darm-Erkrankungen, ja, sogar weniger Läuse: Was gegen das Coronavirus hilft, hilft auch gegen viele andere (Infektions-)Krankheiten. Es zeigt sich nämlich, dass das, was in der Prä-Corona-Zeit schon "normal" hätte sein sollen – regelmäßiges Händewaschen, aber auch ein präventiver Sicherheitsabstand, wenn man kränkelt, und, im asiatischen Raum längst üblich, Masken, um andere vor der eigenen infektiösen Atemluft zu schützen –, auch eine Reihe anderer Erkrankungen in Schach halten kann.

Am 29. Jänner teilte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) mit, dass es heuer "erstmals seit Jahrzehnten bis dato keine Grippefälle in Österreich" gebe. Sonst war die Grippewelle spätestens Anfang Februar voll ausgebrochen. Die bisher schlimmste Grippesaison 2016/2017 verursachte 4400 Influenza-assoziierte Todesfälle. Anschobers Erklärung: "Die Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus wirken auch gegen die Grippe und andere Erreger, die grippale Infekte verursachen." Die Zirkulation des Grippevirus sei durch die geltenden Hygienemaßnahmen und die weltweit eingeschränkte Reisetätigkeit massiv zurückgedrängt worden.

Nur ein einziger importierter Influenzafall

Auf der Internetseite des Diagnostischen Influenzanetzwerks Österreich (DINÖ) der Med-Uni Wien wurde Mitte Jänner der bislang erste und einzige Grippefall dokumentiert. Es handelte sich dabei um eine "importierte Infektion eines Reiserückkehrers". Auch dort heißt es: "Aufgrund der geltenden Hygienemaßnahmen wird auch die Zirkulation der Influenzaviren hintangehalten."

Die AHA-Formel (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) hat sich also als Medizin mit äußerst positiven Nebenwirkungen entpuppt. Das lässt sich auch ablesen an den Arzneimitteln, die tatsächlich verkauft wurden – oder eben nicht. Laut Daten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände wurden im ersten Halbjahr 2020 um ein Fünftel weniger rezeptfreie Mittel gegen Erkältungen und um 25 Prozent weniger gegen Durchfallerkrankungen verkauft. Das Abstandsgebot reduzierte laut einer Apothekerin aus Hessen, die das ZDF zitierte, den Bedarf an Mitteln gegen Läusebefall sogar um zwei Drittel.

Ähnliche Beobachtungen machte das Team der Marien-Apotheke in Wien-Mariahilf. "Die Nachfrage nach Hustensäften ist sehr gering, aber auch Präparate gegen Halsschmerzen werden sehr wenig verlangt. Am ehesten benötigen die Kunden noch abschwellende Nasensprays. Durchfall kommt fast gar nicht vor", hieß es auf STANDARD-Anfrage.

Apothekenmarkt als guter Seismograf

Der Apothekenmarkt ist also ein recht guter Seismograf für die Wirksamkeit beziehungsweise Folgen der Corona-Maßnahmen. Zwar hat die Österreichische Apothekerkammer dazu keine Daten, wohl aber das global für die pharmazeutische Industrie tätige Consultingunternehmen IQVIA. Es dokumentiert alle Arzneimittelverkäufe in österreichischen Spitälern sowie öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken (ausgenommen Online-Versandhandel, dessen Marktanteil in Deutschland auf etwa 15 bis 18 Prozent geschätzt wird, in Österreich aktuell noch etwas niedriger).

Stefan Baumgartner, Geschäftsführer von IQVIA Österreich, analysiert seit Beginn der Pandemie in einem Covid-19-Newsletter wöchentlich die aktuellen Entwicklungen des Pharmamarktes, und der Trend war – aus Sicht der Apotheken – eindeutig negativ (siehe Grafik). Im Jahresschlussbericht vom 18. Dezember hieß es da zum Husten- und Erkältungssegment: "Der Absatz bleibt mit minus 60 Prozent weiterhin deutlich unter dem Wert der Vergleichswoche von 2019."

Medikamente auf Vorrat vor dem Lockdown

Schon im ersten Covid-19-Eintrag am 27. März 2020 gab es eine Überraschung zu vermelden. Seien "normalerweise" die Wochen vor Weihnachten die "stärksten Verkaufswochen" in den Apotheken, war 2020 Kalenderwoche 11 die stärkste Woche nach Umsatz und Absatz seit 2014 – es war die Woche, in der am Freitag (13. März) der erste Lockdown verkündet wurde. Mit rund 100 Millionen Euro Wochenumsatz lagen die Apotheken um 55 Prozent über jenem der Vorjahreswoche, der Absatz der verkauften Medikamentenpackungen lag um 60 Prozent über dem 2019er-Wert.

Schon in der Woche vor dem erwarteten Lockdown habe es eine "extreme Bevorratung" gegeben, was auch den Großhandel vor große Herausforderungen gestellt habe, erklärt Baumgartner im STANDARD-Gespräch: "Es gab eine wahnsinnige Mengennachfrage. Man wusste nicht, ob die Versorgung aus dem asiatischen Raum vielleicht zusammenbricht oder der Warenverkehr in die EU eingeschränkt werden würde." In diesem "Moment der Verunsicherung" haben Großhändler ihre Lager aufgefüllt und Kundinnen wie Kunden nicht nur ihre Klopapiervorräte, sondern auch die Medikamentenschränke aufgestockt.

Epidemiologische Verschiebung und Boom bei Fieberthermometern

Im April folgte dann ein Absatzeinbruch: "Man war ja bevorratet." Anfang Mai kam ein Umkehrtrend, die Leute brauchten und kauften wieder mehr pharmazeutische Produkte. Baumgartner spricht von "epidemiologischer Verschiebung", die Schüler kamen nach dem Lockdown-bedingten Distance-Learning Anfang (Maturaklassen) bzw. Mitte Mai wieder zum Präsenzunterricht in die Klassen – und die zuvor weniger gewordenen Durchfallerkrankungen nahmen wieder deutlich zu.

Auch in Sachen Covid-19-Symptomerkennung rüsteten die Haushalte in Österreich auf. Im März war der Absatz bei Fieberthermometern um ganze 700 Prozent höher als im März 2019.

Weniger Verkühlungen wegen klimaanlagenfreier Homeoffices

Ende Juni erreichte das Absatzvolumen der Apotheken wieder ungefähr das "normale" Niveau des Jahres 2019. Bis auf den Ausfall der "klassischen Klimaanlagenverkühlungen, weil viele Menschen im Homeoffice waren", gab es im Juli, August und September "nahezu eine Normalisierung", erklärt Baumgartner.

Nach dem Sommer folgte dann nicht ganz überraschend zwar ein Anstieg bei den verkauften Husten- und Erkältungsmitteln, aber noch immer deutlich unter dem Vorjahreswert – und der Trend hält an: In Kalenderwoche 1 lag der auf Packungen bezogene Absatz im "Cough & Cold"-Segment 64 Prozent unter jenem der Vergleichswoche 2020. Stand letzte Jännerwoche: minus 68 Prozent. (Lisa Nimmervoll, 8.2.2021)