Leichenschmaus in einem unbewohnbar gewordenen Heim – mit August Zirner als Robert Schuster und Alter Ego Thomas Bernhards (stehend). Weiters (v. li.): Patrizia Unger, Eva Christine Just, Axel Meinhardt, Aaron Röll, Elisabeth Rath, Marco Dott, Genia Maria Karasek und Julienne Pfeil.

Anna-Maria Löffelberger

Großbürgerliche Raumschluchten von königlichem Format: Die Bilder der Heldenplatz-Uraufführung am Burgtheater 1988 sind wie von keiner zweiten Premiere ins kollektive Gedächtnis der Nation eingegangen. Dieser Fantasie einer großen Innenstadtwohnung, in der das Heldenplatzgebrüll vom März 1938 besonders gut widerhallt, folgen am Landestheater Salzburg auch Regisseurin Alexandra Liedtke und Bühnenbildnerin Eva Musil.

Wie im bösen Märchen ist hier alles ein wenig verschroben und unheimlich. Ins Unendliche ragen im "Großen Garderobenzimmer" die Regale mit den Hundertschaften gefalteter Hemden hinauf. Das Bein des Hausmädchens Herta (Patrizia Unger) hängt wie leblos von der hohen Leiter. Und es zuckt erst beim ersten Befehl, den ihr Frau Zittel hinaufbrüllt. Diese Geisterstimmung wird die Inszenierung beibehalten. Nach dem Selbstmord des Professors Josef Schuster ist die Wohnung in Auflösung begriffen – und damit eine Familie, die sich dem Judenhass, dem Weiterwuchern des nationalsozialistischen Erbes und der vergifteten Politik ratlos gegenübersieht. Reinste Gegenwart.

Reliquiendienst

Die filmische Aufzeichnung der Inszenierung ist ab sofort bis 5. März als Stream über die Website des Theaters verfügbar. Und auch wenn abgefilmtes Theater genuin kein Theater ist, so kommt man dem Bühnengeschehen doch sehr nahe. Drei Kameras sind den Figuren auf den Fersen. Sie zoomen heran an das Gesicht der Frau Zittel (Britta Bayer), die sich an den Hemden ihres verstorbenen Hausherrn wie an Reliquien zu schaffen macht. Allzu helmartig sitzt dabei ihr Pagenkopf, er passt aber gut zum ausgeprägten und nur durch eine dünne Schicht Eleganz kaschierten Sadismus dieser zur Number one im Haus aufgestiegenen Wirtschafterin.

Regisseurin Liedtke schält aus dem in Tristesse verhärteten Familienverband die Figur des Professors Robert Schuster, den Bruder des Verstorbenen, gezielt heraus. Er ist die einzige Lichtgestalt; er lässt sich das Leben nicht mehr vermiesen. Nur gelegentlich, wie er sagt, gestattet er sich eine Erregung. August Zirner spielt ihn unangestrengt als Alter Ego Thomas Bernhards, der im schwarzen Nickiplüschpullover seine Anverwandten und Freunde wie Forschungsobjekte verwundert beäugt.

Schwingenden Schrittes verteilt er die Löffel beim Leichenschmaus. Und in der Volksgartenszene tänzelt er seine berühmte Österreich-Rede ("geist- und kulturlose Kloake") federnd aus sich heraus. Beinahe stürzt er dabei, aber so geschmeidig und ein wenig schalkhaft, dass es an Absicht grenzt. Eine fabelhafte Szene, die viele Zwischenräume aufschließt und plötzlich eine Ahnung von "Leben" in die Bude lässt.

Elisabeth Raths Auftritt als Frau des verstorbenen Professors gerät allerdings allzu kurz. Das Heldenplatzgebrüll kann da kaum Raum greifen. Mehr als zwei Stunden Dauer sind online wohl nicht drin. (Margarete Affenzeller, 7.2.2021)