Bei Aktionärsversammlungen räumten sie die Buffets leer oder stellten unangenehme, kritische Fragen. An den Börsen spielten Kleinanleger aber keine Rolle. Das hat sich gerade geändert. Eine kleine Revolution hat die Wall Street erschüttert. Für die einen ist es ein Kampf David gegen Goliath, für die anderen ein verrückter Mob, der nach dem Capitol auch die Wall Street stürmt. Was ist passiert?

Der New Yorker Hedgefonds Melvin Capital kam vor ein paar Monaten zum Schluss, dass die Aktien von Gamestop überbewertet waren. Die Firma verkauft Videospiele in Shopping-Malls. Mit fortschreitender Digitalisierung ist ein solches Geschäftsmodell nicht mehr tragfähig. Daher wettete nun Melvin Kapital auf einen Kursrückgang, einen sogenannten Short. Solche Transaktionen bleiben kein Geheimnis. Darauf reagierten Aktivisten mit einem Aufruf auf der Social-Media-Plattform Reddit. Es gelang ihnen, tausende Gleichgesinnte, vor allem junge Leute, zu überzeugen, Gamestop-Aktien zu kaufen und damit den Preis in die Höhe zu treiben. Den abgehobenen Finanzhaien da oben zeigen wir es jetzt, war der Schlachtruf. Dass Online-Broker wie Robinhood den Einstieg ins Aktiengeschäft de facto kostenfrei anbieten, hat das Ihre dazu beigetragen. Melvin Capital verlor seine Wette. Der Hedgefonds stieg mit einem Milliardenverlust aus.

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Millennials vs. Hedgefonds: Nach Aufrufen von Aktivisten kauften tausende junge Menschen Gamestop-Aktien.
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In der Finanzwelt regiert oft blinde Gier. Anders ist es nicht zu erklären, dass über Jahre Milliarden an faulen Immobilienkrediten als sichere Finanzprodukte verkauft und gekauft wurden. Für den Einsturz dieses Kartenhauses im Jahr 2008 zahlen wir alle heute noch. Nun hat die Wut ihren Weg an die Börse gefunden. Diese Wut wird bleiben und Gamestop nicht der einzige Fall sein, in dem sich digital vernetzte Millennials gegen das System verbünden und den Aktienmarkt durcheinanderwirbeln.

Leere Versprechen

Egal ob in den USA oder Europa: Reallohneinkommen stagnieren seit Jahren, Schulabgänger und Uniabsolventen und -absolventinnen haben wenig Chancen, sich etwas zu aufzubauen. Nullzinsen vernichten Sparguthaben, und das Versprechen, dass es der kommenden Generation einmal besser gehen wird, scheint schwer einlösbar. Die einen erben, den anderen droht Altersarmut.

Welche Instrumente könnten funktionieren, damit sich auch die nächste Generation Vermögen aufbauen kann? Diese Frage sollten wir diskutieren, denn wie wir von den USA gelernt haben sollten, bekommen Unruhen an der Wall Street bald auch eine realpolitische Dimension.

Melvin Capital ist übrigens nur gestrauchelt und nicht gestürzt. Mit bisherigen Jahresrenditen von 40 bis 60 Prozent hat der Fonds gezeigt, was er kann. Investoren stellen sich gerade an, um frisches Geld nachzuschießen. Die Plattform Robinhood wiederum hat bewiesen, welches Marktpotenzial in Kleinanlegern der Generation Y steckt, und in wenigen Tagen 3,4 Milliarden US-Dollar neues Risikokapital eingesammelt.

Verloren haben am Ende jene, die mit ihrem Ersparten zu spät auf den Zug aufgesprungen sind, und jene, die nicht rechtzeitig abgesprungen sind. Bei einigen hat die Wut in Gier umgeschlagen. Der Kurs von Gamestop fällt rapide. David hat Goliath gegen das Schienbein getreten. (Philippe Narval, 8.2.2021)