Benjamin Netanjahu wettert gegen den ICC in Den Haag.
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Es war eine brisante Botschaft – und sie kam nach Beginn des jüdischen Ruhetags Schabbat: Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag gab Freitagabend bekannt, formelle Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten einzuleiten. Im Visier stehen israelische Verantwortliche, aber auch die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas.

Konkrete Tatverdächtige gibt es noch nicht. Die Entscheidung stellt aber klar, was bisher offen war: Was in Palästinensergebieten geschieht, geht das internationale Tribunal sehr wohl etwas an. Das ist unter Juristen umstritten, da Palästina ja kein anerkannter Staat ist.

Der Fall wandert jetzt zu einem Ermittlerteam in Den Haag. In weiterer Folge sind Anklagen gegen israelische Militärs, aber auch Politiker möglich. Wobei es nicht nur um den Gazakrieg 2014 geht, sondern auch um Siedlungen im von Israel besetzten Westjordanland. Eine Besatzungsmacht darf laut Völkerrecht nicht die eigene Zivilbevölkerung in besetztes Gebiet transferieren.

Völkerrechtlich diffizil

Israel könnte sich hier darauf berufen, dass der Siedlungsbau militärische Notwendigkeit sei – dann wäre es legitim, wie Völkerrechts expertin Vias Gvirsman erklärt.

Die Hamas muss sich wiederum den wiederholten Raketenbeschuss auf Israel vorhalten lassen. Auch Verbrechen gegen die eigene Zivil bevölkerung könnten Teil der Ermittlungen sein.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu reagierte empört auf die Entscheidung. Diese sei als "purer Antisemitismus" zu werten, sagte er in einer Videobotschaft. Auch Vizepremier Benny Gantz erklärte den Beschluss als "falsch, politisch und einseitig".

Schützenhilfe kam aus dem Weißen Haus. Die USA lehnten die Entscheidung des Tribunals ab, man stehe zu Israel, erklärte Sprecher Ned Price. Palästinenservertreter begrüßten hingegen den Beschluss.

Es war keine einstimmige Entscheidung, die der dreiköpfige Richtersenat in Den Haag fällte, und sie ist rechtlich umstritten. Die Palästinenserbehörde hat zwar im Jahr 2015 die Verträge zum Tribunal unterzeichnet; dessen Rechtsprechung kann sich aber nur auf Unterzeichnerstaaten beziehen – und Palästina ist kein Staat. Israel wiederum hat die Verträge nicht ratifiziert. Chefanklägerin Fatou Bensouda hatte deshalb den Richtersenat ersucht zu klären, ob das Gericht hier zuständig ist.

Spiel auf Zeit?

Sollten israelische Verantwortliche tatsächlich in Abwesenheit verurteilt werden, sind israelische Gerichte daran nicht gebunden. Die Betroffenen wären in ihrer Reisefreiheit aber stark eingeschränkt.

Bis es so weit kommt, dürfte viel Zeit vergehen. Das israelische Militär könnte sich darauf berufen, dass es gegen Missetäter in den eigenen Reihen ohnehin selbst vorgehe. Im Fall britischer Soldaten im Irak habe sich Den Haag mit solchen internen Ermittlungen zufriedengegeben, erklärt Yuval Shany vom Israel Democracy Institute.

Österreich hatte sich zuvor kritisch gegenüber einer Zuständigkeit des Tribunals gezeigt. Die aktuelle Entscheidung nehme man zur Kenntnis, hieß es am Sonntag im Außenministerium auf Anfrage des STANDARD. Es sei aber "wichtig" zu betonen, dass der Beschluss keiner Anerkennung eines palästinensischen Staates gleichkomme. Das hatten auch die Richter in ihrer Entscheidung klargestellt. (Maria Sterkl, 7.2.2021)