Wird ein Lokal für Take-away geöffnet, kann man den Wert der Miet-Reduzierung nach einem "Dead space"-Ansatz bestimmen.

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Selten steht eine zivilrechtliche Fragestellung im Fokus des medialen Interesses, bei der zugleich die praktische Umsetzung der Verteilungsgerechtigkeit analysiert werden kann: Entfallen Mietzinsen aufgrund der Covid-19-Pandemie automatisch, oder werden sie zumindest aliquot reduziert?

Das große mediale Echo auf diese Rechtsfrage ist Ausdruck der gewaltigen volkswirtschaftlichen Interessen und der Summen, die im Spiel sind. Hunderttausende Betriebe sind betroffen.

Juristisch handelt es sich nichtsdestoweniger um eine einfache Frage: Über das Ja der Reduktion kann nach der geltenden Rechtslage kein Zweifel bestehen. Damit ist aber noch nicht gesagt, wer ökonomisch am Ende die Rechnung zahlt: der Vermieter, der Mieter oder der Staat?

Die seit der Urfassung des ABGB von 1811 festgelegte Risikonorm des § 1104 ABGB baut auf einer alten Rechtstradition auf, die bis in das römische Recht zurückreicht. Die Grundregel lautet: In den Extremsituationen von Feuer, Krieg und Seuche geht das in normalen Zeiten den Mieter treffende wirtschaftliche Nutzungsrisiko auf den Vermieter über. Solche Störfälle stellen ein typisches Eigentümerrisiko dar.

Bezifferungsproblem

Um Schachzüge der Verschleierung handelt es sich, wenn die Vermieterseite die Möglichkeit der Reduzierung grundsätzlich in Abrede stellt und die Mieterseite argumentiert, dass die Miete stets auf null zu reduzieren ist. Beides ist so nicht vertretbar. Die Achillesferse des Regelungskonzepts stellt das "Bezifferungsproblem" dar.

Sicherlich wird es die "Nullfälle" geben. Ein verbleibender "beschränkter Gebrauch des Mietstücks" führt jedoch zu der erwähnten aliquoten Reduzierung (§ 1105 S 1 ABGB). Wie bereits der Oberste Gerichtshof im Jahr 1915 angemerkt hat, kann ein Nutzen etwa darin liegen, dass wertvolle Mobilien im Geschäft verbleiben.

Abgegolten werden könnte der Nutzen pragmatisch dadurch, dass der Mieter zumindest die Betriebskosten zahlt. Den ganz überwiegenden Anteil hat jedoch der Vermieter zu tragen.

Sollte ein Lokal für Take-away geöffnet werden, so kann man den Wert der Reduzierung nach einem "Dead space"-Ansatz bestimmen: Zu berechnen wäre die Grundfläche, die für das angepasste Nutzungskonzept verwendet wird. Der Gastraum, in dem die Stühle auf den Tischen stehen, ist "dead space", der Theken- und Küchenraum ist "used space".

Verdeckte Transfereffekte

Wer soll letztendlich die Kosten für die fehlende Nutzbarkeit der Gewerberäume in der Pandemie tragen? Privatrechtlich trägt überwiegend der Vermieter das Risiko, sollte nicht ein Restnutzen aufseiten des Mieters verbleiben. Praktisch werden viele Mieter jedoch aus Unkenntnis der Rechtslage oder aus Furcht vor einer Räumungsklage weiterzahlen.

Nach der gegenwärtigen Förderungspraxis kann der Bestandnehmer beim Scheitern einer einvernehmlichen Reduktion den gesamten Mietzins unter Vorbehalt leisten und den maximal zulässigen Zuschuss beantragen.

Das kann nur eine Notlösung sein. Denn der Mieter manövriert sich damit in eine Prozesszwickmühle. Er muss gegebenenfalls die gewährten Zuschüsse (teilweise) zurückerstatten und zugleich den unter Vorbehalt gezahlten Mietzins gerichtlich gegenüber dem Vermieter geltend machen.

Macht die Cofag die Rückforderungen zukünftig nicht geltend, so kommt es zu indirekten Transferleistungen an die Vermieter; die Rechnung trägt der Staat und damit die Steuerzahler.

Beide Szenarien sind vermeidbar, wenn man die durch das ABGB vorgegebene Risikoverteilung ernst nimmt. Entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis muss die Reduzierung nicht ausgehandelt werden. Sie tritt automatisch, oder wie die Juristen sagen: ex lege, ein. (Johannes W. Flume, 8.2.2021)