Muss an der Strandpromenade von Palma heimische Gespenster abwehren: Thomas Bernhard, der nur ein Virus fürchtet – das nationalsozialistische.

Foto: Reiser

Mallorca, auf dem Paseo Maritimo, der Strandpromenade von Palma. Spätherbst 2021. Thomas Bernhard, stark gealtert, aber quietschlebendig, im Korbsessel. Er trinkt Mokka. Kultursektionsleiter mit schwarzem Aktenkoffer. Tiefe Verbeugung.

Kultursektionsleiter: Sodass sich die österreichische Bundesregierung außerordentlich glücklich schätzt, Ihnen, sehr verehrter Herr Bernhard, eine Dosis des brandneuen Impfstoffes "Funchal" direkt in den Arm zu verabreichen. Diese brandneue Vakzine wurde auf Geheiß von Bundeskanzler Kurz in heimischen Labors entwickelt und soll an den letzten österreichischen Kaiser auf Madeira erinnern…

Bernhard: Und jetzt wollen Sie mich in den Arm stechen, nicht, und bilden sich ein, für mich bricht damit das Himmelreich auf Erden aus! Das kann Ihr schmalgepickter Herr Bundeskanzler, wie es so schön heißt, seiner Urgroßmutter erzählen, oder dem Figl, oder von mir aus dem Engelbert Dollfuß. Ich bin auf sein lächerliches Serum nicht im Geringsten angewiesen, weil ich, wie jedes Kind weiß, längst unsterblich bin. Jeder Tag hier auf Mallorca – ein weiteres, wohlverdientes Stückchen Ewigkeit.

Kultursektionsleiter: Aber bedenken Sie doch die Gefährlichkeit der neuesten Sars-Cov2-Mutante.

Bernhard: Mir jagt Ihre Mutante nicht den geringsten Schrecken ein. Die Welt steckt voll von Onkeln und Tanten, da kommt es auf eine Mutante mehr oder weniger nicht an. Die wird ganz von selber hin, da brauche ich von Ihnen kein Jaukerl in den Oberarm gespritzt.

Kultursektionsleiter: Es tut auch ganz bestimmt nicht weh.

Bernhard: Papperlapapp. Statt einer Mutante hat doch jeder Österreicher einen waschechten Nazi-Onkel bei sich zuhause. Egal, wo einer bei uns herkommt: Fragen Sie ihn nach seinen Verwandten, er wird Ihnen sofort einen Nazi-Onkel aufs Auge drücken. Sie brauchen bloß einen alten, wurmstichigen Kasten zu öffnen, in dem es nach Moder stinkt. Schon sinkt Ihnen ein vergessen geglaubter Nazi-Onkel in die Arme, um Ihnen seinen übelriechenden Nazi-Kuss auf den Mund zu drücken. Wodurch er das nationalsozialistische Virus auf Sie überträgt!

Kultursektionsleiter: Ihr letztes Wort, Herr Bernhard? Keine Impfdosis in den Oberarm hinein?

Bernhard: Das nationalsozialistische Virus ist tausendmal gefährlicher als jede Mutante. Richten Sie das Ihrem schmalgepickten Metternich am Ballhausplatz aus. Und jetzt treten Sie mir aus der mallorquinischen Sonne.

Sektionsleiter (brüskiert, beiseite): Muss ich mich rasch nach einem geeigneten Bürgermeister umsehen, um mein Serum "Funchal" wenigstens an einen Balearen verimpfen zu können. Wäre doch ausgesprochen schade drum.

(Vorhang)

(Ronald Pohl, 9.2.2021)