Wo liegen die Grenzen der Meinungs- und Redefreiheit eines US-Präsidenten? Der Impeachment-Prozess gegen Donald Trump soll das entscheiden.

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Noch gibt es keinen Fahrplan. Wie lange der am Dienstag beginnende Impeachment-Prozess im Senat dauert, ist ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, ob Zeugen vernommen werden. Vor einem Jahr, als die Demokraten Donald Trump wegen Machtmissbrauchs in der Ukraine-Affäre seines Amtes entheben wollten, verhandelte die Kammer 20 Tage, ehe sie ihn freisprach. Gemessen an früheren Verfahren war das relativ kompakt. Diesmal hat allein schon der demokratische Präsident Joe Biden ein Interesse daran, dass es mindestens genauso schnell geht – möglichst noch schneller.

Ein Prozess, der sich bis März hinzieht, könnte dem Senat die Zeit nehmen, sich mit Bidens billionenschwerem Corona-Hilfspaket und anderen wichtigen Vorhaben zu befassen. Also haben einige von dessen Parteifreunden erklärt, die Prozedur dürfte kaum mehr als eine Woche in Anspruch nehmen, wenn man aufs Tempo drücke. Schließlich sei der Fall so klar, dass man es kurz machen könne. Wetten möchte niemand darauf.

Trump seinerseits hat es abgelehnt, sich befragen zu lassen. Jamie Raskin, ein Demokrat, der als Kläger fungiert, hatte ihn schriftlich aufgefordert, in den Zeugenstand zu treten. Die Anwälte des Ex-Präsidenten, Bruce Castor und David Schoen, haben das Ansinnen als reinen PR-Gag abgetan.

"Kämpft wie der Teufel!"

Denkbar ist, dass die Anklage Leute aufbietet, die am 6. Jänner dabei waren, als Trump seine in der Nähe des Weißen Hauses versammelten Fans aufrief, zum Parlament zu marschieren und "wie der Teufel zu kämpfen", weil man sonst kein Land mehr habe. Augenzeugen, die die Atmosphäre schildern und begründen, warum seine Sätze nicht anders verstanden werden konnten als eine Anstiftung zum Aufstand.

Abschließend geklärt ist das noch nicht, hinter den Kulissen wird bis zur letzten Minute um die Details gerungen. Fest steht dagegen, mit welchen Argumenten Anklage und Verteidigung das Verfahren bestreiten werden.

Trump trage eindeutig Verantwortung für die Erstürmung des Parlamentsgebäudes, schreiben die Demokraten in einem 77-Seiten-Papier. Dass seine aufgeputschten Anhänger zum Kapitol zogen, sei die logische Folge seiner Rhetorik gewesen. "Es ist unmöglich, sich die Ereignisse am 6. Jänner ohne das Pulverfass vorzustellen, das Präsident Trump schuf und an das er ein Streichholz hielt."

Es gibt etliche Handyvideos, die den Zusammenhang dokumentieren. Das Reiss Center, eine juristische Sparte der New York University, hat einige von ihnen zu einem Zehn-Minuten-Film verdichtet. Beispielsweise zeigt der Streifen, wie die Menge auf Trump reagiert. "Erobert das Kapitol!", ruft einer. "Lasst uns das Kapitol nehmen! Jetzt gleich!", kommt als Echo zurück, bis es irgendwann Hunderte sind, die "Let’s take the Capitol!" skandieren. Und dann, erneut als Antwort auf Trump: "Kämpft wie der Teufel!" Später, als die Sperren der Parlamentspolizei durchbrochen sind, rechtfertigt einer die Randale mit den Worten: "Wir wurden eingeladen, wir wurden eingeladen vom Präsidenten der Vereinigten Staaten!" Aufnahmen wie diese dürften denn auch den Prozess prägen.

Andererseits ist sicher, dass Trumps Anwälte ihren Mandanten mit dem Recht auf die Freiheit der Rede, verankert im ersten Zusatzartikel der Verfassung, verteidigen werden.

Zweifel an Rechtmäßigkeit

Es sei Trumps gutes Recht, Zweifel am Wahlresultat zu äußern, argumentieren Castor und Schoen. Als der Präsident dazu aufforderte, "wie der Teufel" zu kämpfen, habe er gemeint, dass man sich für die "Sicherheit von Wahlen generell" einsetzen müsse. Im Übrigen stellt das Duo die Rechtmäßigkeit der Prozedur infrage: Jemand, der nicht mehr im Amt sei, könne seines Amtes auch nicht mehr enthoben werden.

So hatten es, bis auf fünf Ausnahmen, auch die 50 republikanischen Senatoren gesehen, als sie – vergebens – einen Abbruch der Verhandlung wegen Verfassungswidrigkeit verlangten. Für manche Beobachter lässt es den Schluss zu, dass Trump erneut ungestraft davonkommt. Es sei unrealistisch, auf jene 17 Republikaner zu hoffen, die sich mit den 50 Demokraten verbünden müssten, damit er mit Zweidrittelmehrheit für schuldig befunden wird.

Andere halten einen Sinneswandel bei dem einen oder anderen Konservativen durchaus für möglich – je nachdem, wie überzeugend die Kläger auftreten. 144 Verfassungsrechtler wiederum haben dieser Tage in einem offenen Brief dargelegt, warum das Recht auf freie Rede den Ex-Präsidenten nicht vor der Amtsenthebung schützt. Kein vernünftiger Jurist, schreiben sie, könne daraus das Recht ableiten, zur Attacke gegen den Sitz der Legislative aufzuwiegeln – "und dann am Fernseher zuzuschauen, wie der Kongress terrorisiert wird". (Frank Herrmann aus Washington, 9.2.2021)