"Eliten, die bereit sind, mit Autoritären zusammenzuarbeiten, haben am Ende ziemlich viel zu tolerieren", sagt der Princeton-Politologe Jan-Werner Müller im Gastkommentar im Hinblick auf den Kapitolssturm.

Donald Trump verabschiedete sich am 20. Jänner nach Florida. Nun beginnt der Impeachment-Prozess im Senat. Trump wird "Anstiftung zum Aufruhr" vorgeworfen.
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Die Liberalen in aller Welt wagen zu hoffen, dass der gewalttätige Ausklang von Donald Trumps Präsidentschaft auch Vorteile hat: Sie glauben, der schmähliche Abgang des führenden Aufwieglers von der politischen Bühne könnte autoritären Populisten an anderen Orten den Wind aus den Segeln nehmen. Leider ist ihr Optimismus naiv.

Entgegen dem Klischee einer populistischen "Welle", die in den letzten Jahren über die Welt geschwappt sei, hat der Aufstieg und Fall populistischer Staatschefs normalerweise keine nennenswerten transnationalen Auswirkungen. Ebenso wie es unter Dieben keine Ehre gibt, gab es, wenn es wirklich darauf ankam, auch innerhalb der vermeintlichen populistischen Internationale keine Solidarität. Auch Trump-Kumpel wie der indische Ministerpräsident Narendra Modi, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sogar der russische Präsident Wladimir Putin haben Joe Bidens Wahlsieg letztlich anerkannt.

Große Vereinfacher

Wichtiger ist noch, dass Trump trotz seiner Omnipräsenz niemals ein typischer Populist war. Regierende Rechtspopulisten sind normalerweise stärker darauf bedacht, eine Fassade der Legalität zu bewahren, und sie vermeiden es, direkt mit der Gewalt auf der Straße in Verbindung gebracht zu werden. Da der Sturm auf das US-Kapitol vom 6. Jänner eindeutig eine Verzweiflungstat war, lässt er nicht notwendigerweise auf das Schicksal populistischer (und rechtsradikaler) Bewegungen anderswo schließen. Die einzige wirkliche Erkenntnis daraus ist, dass auch andere populistische Kleptokraten, wenn sie tatsächlich in die Ecke gedrängt sind, zu gewalttätigen Protesten aufrufen könnten.

Liberale behaupten oft, die Welt in all ihrer Komplexität zu verstehen, während Populisten große Vereinfacher seien. Aber es sind Erstere, die das hochgradig simplifizierende Narrativ einer globalen populistischen Welle verbreitet haben – als ob man nicht die jeweiligen nationalen Umfelder sehr sorgfältig berücksichtigen müsse.

Die Dominotheorie

Laut dieser Dominotheorie – der sich die Populisten selbst begeistert anschlossen – hätte Trumps unerwarteter Triumph 2016 eigentlich als Auslöser für Siege rechter Populisten in Österreich, den Niederlanden und Frankreich dienen müssen. Tatsächlich ist das Gegenteil passiert: Norbert Hofer ließen trumpistische Mätzchen unpräsidentiell erscheinen. Der rechtsextreme Demagoge Geert Wilders wurde von Trump unterstützt, konnte aber die Erwartungen nicht erfüllen. Marine Le Pens Niederlage gegen Emmanuel Macron 2017 bestätigte, was bereits vorher klar war: dass der Eurotrumpismus doch keine so effektive Strategie sein könnte.

Es sollte selbstredend sein, dass manche Dinge in einigen politischen Kulturen funktionieren und in anderen nicht. Viel hängt auch von den Entscheidungen jener ab, die selbst keine Populisten sind: In den USA profitierte Trump von der Mitarbeit etablierter konservativer Eliten und der Republikanischen Partei. Tatsächlich ist – mit der möglichen Ausnahme Italiens – in Westeuropa oder Nordamerika keine rechte populistische Partei ohne die bewusste Hilfe vermeintlich gemäßigt rechter Akteure an die Macht gekommen.

Autokratische Legalismus

Und auch wenn sich die rechtspopulistischen Parteien und Regierungsstile ähneln, folgt daraus nicht, dass der Aufstieg der Populisten überall dieselben Gründe hat. Eine viel wahrscheinlichere Erklärung für die Ähnlichkeiten ist, dass die populistischen Politiker selektiv voneinander gelernt haben.

Beispielsweise ist es heute eine normale populistische Vorgehensweise, störende Nichtregierungsorganisationen durch angeblich neutrale Gesetzesänderungen unter Druck zu setzen. Mit etwas, das Beobachter "autokratischen Legalismus" nennen, greifen viele regierende Rechtspopulisten auf formale Regeln und Praktiken zurück, um eine Patina der Neutralität zu wahren und die Gründe für ihr Handeln plausibel abstreiten zu können. Im Gegensatz zu Trump verstehen sie, dass Straßenproteste einer unkontrollierbaren Bewegung sowohl innerhalb ihres Landes als auch die internationale Meinung betreffend nach hinten losgehen können.

Toleranz der Eliten

Sogar wenn Gewalt tatsächlich gefördert wird, wie es bei der Bestrafung indischer Muslime unter der regierenden hindu-nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei der Fall ist, legen Leute wie Modi Wert darauf, nichts zu sagen, was als direkte Aufwiegelung interpretiert werden könnte. Auch die ungarische Regierung bedient gnadenlos rassistische und antisemitische Klischees, aber Premierminister Viktor Orbán ist sehr darauf bedacht, dies nicht zu laut zu tun, um seine wichtigen Beziehungen zu den deutschen Christdemokraten und zur deutschen Autoindustrie nicht zu gefährden.

Sicherlich könnte jeder Populist, wenn er in die Ecke getrieben wird, auf Trumps Abgangsverhalten zurückgreifen: den Versuch, Eliten zu betrügerischen Handlungen zu bringen, um eine Machtübergabe zu verhindern, oder Rechtsextremisten zu benutzen, um Gesetzgeber einzuschüchtern. Diese verzweifelten Aktionen spiegeln Trumps Schwäche wider. Wichtig ist dabei aber auch, dass sich die meisten Republikaner, sogar als sie mit seiner offensichtlichen Gesetzlosigkeit vom 6. Jänner konfrontiert wurden, immer noch nicht von Trump lösen wollten.

Andere rechte Populisten könnten sich diese Tatsache durchaus merken. Die jüngsten Ereignisse in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass Eliten, die bereit sind, mit Autoritären zusammenzuarbeiten, am Ende ziemlich viel zu tolerieren haben. Dieses schändliche Beispiel könnte insbesondere in solchen Ländern Schule machen, in denen sich die Unternehmen durch kapitalistische Vetternwirtschaft an illegales Verhalten gewöhnt haben.

Schlauere Populisten als Trump ersticken die Demokratie langsam – durch gesetzliche und verfassungsrechtliche Machenschaften. Aber wenn rechtspopulistische Kleptokratien, die laut dem indischen Journalisten Kapil Komireddi auf einer Fusion von Großkapital und Bigotterie beruhen, untergehen, wird dies nicht unbedingt still und leise geschehen. (Jan-Werner Müller, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 9.2.2021)