Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie gingen jungen Franzosen im ganzen Land für mehr Klimaschutz auf die Straße.

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Was kann getan werden, wenn der Staat seine Bürger nicht ausreichend vor den Folgen der Klimakrise schützt? Diese Frage beschäftigt zunehmend Richter in ganz Europa. Erst vergangene Woche sorgte ein Fall in Frankreich für Aufmerksamkeit. Das Pariser Verwaltungsgericht erkannte an, dass der Staat seinen Verpflichtungen, Treibhausgase zu senken, nicht ausreichend nachkommt.

Die Klage, die als "L’Affaire du siècle" – in etwa "Angelegenheit des Jahrhunderts" – bekannt ist, fand in Frankreich großen Widerhall. Nicht nur Hollywood-Größen wie Marion Cotillard und Juliette Binoche stehen hinter der Klage; weitere 2,3 Millionen Franzosen haben eine entsprechende Petition unterschrieben. Eingebracht wurde die Klage von vier Umweltschutzorganisationen, die Frankreichs Nachlässigkeit im Klimaschutz aufzeigen wollen.

Mit einer öffentlichen Aktion wollten "L’Affaire du siècle" auf ihre 2,3 Millionen Unterstützer aufmerksam machen.
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Noch ist der Fall nicht abgeschlossen. Das Gericht hat den Parteien zwei Monate Zeit gegeben, um mögliche Maßnahmen vorzulegen. Außerdem kann der Staat in Berufung gehen. Nichtsdestotrotz wird das Ergebnis unter Klimaaktivisten als historischer Erfolg gefeiert.

Unterstützer freuen sich über den Etappensieg. (französischsprachiges Video)

Könnte die Jahrhundertangelegenheit zu einem Präzedenzfall für ganz Europa werden? Nein, sagt der Jurist Florian Stangl, der auf Umwelt- und Europarecht spezialisiert ist. Klimaklagen seien zumeist in der nationalen Rechtsordnung angesiedelt. Dennoch könnte der französische Fall aus Sicht des Experten einen "Ausstrahlungseffekt" haben – und auch in anderen Ländern zu ähnlichen Verfahren führen.

Ein gänzliches Novum stellt die Klage in Frankreich nicht dar. In den vergangenen Jahren zogen Umweltschützer in mehreren europäischen Ländern vor Gericht. Einer der bekanntesten Fälle ist jener der niederländischen NGO Urgenda. Auch hier wurde der Staat geklagt, da sein Treibhausgasausstoß zu hoch war. Mit Erfolg: Die Organisation bekam über mehrere Instanzen recht, der Staat musste weitere Klimaschutzschritte setzen.

Für ein mediales Echo sorgte auch der Fall von sechs portugiesischen Kindern und Jugendlichen, die im Vorjahr gegen 33 Länder eine Klimaklage einreichten. Anlass für den Rechtsstreit waren die Waldbrände in Portugal. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, mit der Klage fortzufahren. Die betroffenen Länder müssen sich bis Ende Februar äußern.

Kaum Klimaklagen in Österreich

Hierzulande zog der Klimaschutz vor Gerichten meistens den Kürzeren. So erhielt etwa der Bau der dritten Piste auf dem Flughafen Wien trotz juristischen Gegenwinds letztlich grünes Licht. Und auch eine von Greenpeace im Vorjahr eingebrachte Klimaklage gegen Steuervorteile im Flugverkehr wurde vom Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen.

Derzeit wird in Österreich eine weitere Klimaklage vorbereitet. Dabei geht es um Menschen, die konkret von den Folgen der Klimakrise betroffen sind – wie Personen, die unter Multipler Sklerose leiden und deren Krankheitssymptome sich durch Hitze verschlimmern. Die Kläger wollen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen, da der Staat aus ihrer Sicht keinen Schutz vor der Klimakrise bietet.

Viele Hürden

Insgesamt werden Folgen der Erwärmung in Österreich nur selten eingeklagt, sagt der Umweltjurist Stangl. Er führt das unter anderem auf die fehlende Sensibilisierung unter Juristen zurück. Viele Klimaklagen scheitern zudem an der Hürde der Zulässigkeitsschwelle, erklärt die Juristin Judith Fitz von der Universität Wien. Generell seien solche Verfahren in Österreich "extrem schwierig". Neben einer direkten Betroffenheit müssen Kläger dabei genau aufzeigen, gegen welche Norm oder Bestimmung sie vorgehen möchten.

Das vom Klimavolksbegehren geforderte Recht auf Klimaschutz in der Verfassung könnte hier zumindest etwas Bewegung bringen, meint die Umweltrechtsexpertin, denn dann müsste sich auch der Verfassungsgerichtshof mit dem Thema auseinandersetzen. "Dafür bräuchte es einen mutigen Gesetzgeber." (Nora Laufer, 9.2.2021)