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Vor dem Gerichtssaal wurde am Montag Gerechtigkeit gefordert.

Foto: AP / Maya Alleruzzo

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein amtierender Regierungschef vor einem Gericht erscheinen muss – und noch seltener, dass er es als Angeklagter in seinem eigenen Korruptionsprozess tut. Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel, schrieb sich allein schon deshalb in die Geschichtsbücher ein, als er Montagfrüh in einem Jerusalemer Bezirksgericht erklären musste, ob er sich schuldig oder unschuldig bekenne.

Er schließe sich den schriftlichen Ausführungen seiner Anwälte an, sagte der 71-Jährige lapidar. Die hatten zuvor bereits ausführlich dargelegt, warum sie ihren Mandanten als zu unrecht wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt sehen. Es sind gewichtige Tatvorwürfe, die Staatsanwaltschaft hat es sich nicht leicht gemacht: Über 300 Belastungszeugen untermauern die Anklage. Einige von ihnen könnten in den nächsten Wochen auch vor Gericht aussagen.

Wahlkampf im Fokus

Genau das will Netanjahus Lager verhindern. Es ist nämlich Wahlkampf, der Strafprozess soll die Stimmung nicht trüben. Netanjahu schickte deshalb kurz vor dem Wochenende Parteifreund Yariv Levin vor. Der Jurist forderte öffentlich, das Gericht solle doch das Beweisverfahren auf die Zeit nach der Wahl verschieben, die Justiz dürfe nicht auf die demokratische Willensbildung Einfluss nehmen. Dass es Netanjahu war, der durch die Verweigerung eines Budgetbeschlusses vorgezogene Wahlen vom Zaun gebrochen hatte, ließ er beiseite.

Dass Levin zudem Sprecher des Parlaments ist, hielt ihn ebenfalls nicht davon ab, dem Gericht öffentlich etwas auszurichten. Eine Vorgangsweise, die Rechtsprofessor Amnon Reichman von der Universität Haifa vor Medien als "rar, ungewöhnlich und ziemlich problematisch" bezeichnete.

Totschweigen als Strategie

Selten mögen solche Appelle anderswo sein, in Israel aber nahmen öffentliche Angriffe auf die Justiz zuletzt stark zu. Auch seinen ersten Gerichtstermin im Mai hatte Netanjahu genutzt, um sich mit einem Tross von Ministern vor Kameras zu postieren und zu einem Rundumschlag gegen Justiz und Medien auszuholen. Diesmal, am zweiten Verhandlungstag, setzte Netanjahu auf eine neue Strategie: Totschweigen. Kein Tweet, kein Video wurden gepostet. Bereits zwanzig Minuten nach Verhandlungsbeginn bat er das Gericht, den Saal verlassen zu dürfen – und verschwand.

Netanjahus Verteidiger taten am Montag alles, um den Richtersenat von Mängeln der Anklage zu überzeugen. Anwalt Boaz Ben Zur kritisierte in seinem Plädoyer das Fehlen einer schriftlichen Anklagegenehmigung durch den Generalstaatsanwalt. Zwar verlangt das Grundgesetz den Sanktus des Generalanklägers, dies kann aber mündlich geschehen – was Ben Zur nicht davon abhielt, seine einstündige Rede rund um die fehlende Schriftlichkeit zu zentrieren. "Sie reden, reden, reden und kommen nicht vom Fleck", hielt ihm Senatsvorsitzende Rivka Feldman Friedman vor. Und die Staatsanwaltschaft wandte ein, dass es sehr wohl eine schriftliche Fassung gibt, wenn auch nur in Form eines Sitzungsprotokolls.

Wann der Prozess in die nächste Runde geht, ist offen. Netanjahus Anwälte werden darauf drängen, die Zahl der Verhandlungstage vor der Wahl am 23. März so gering wie möglich zu halten. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 8.2.2021)