Ercan Kara besitzt das im Fußball äußerst begehrte Torjägergen.

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Für Ercan Kara hat es nie eine Alternative gegeben. "Ich wollte immer Fußballprofi werden." Das war bereits in der Volksschule ersichtlich. Während sich die anderen Kinder am Faschingsdienstag als Cowboy, Indianer, Prinzessin oder Fliegenpilz verkleideten, "ging ich immer als Fußballer". Wobei er später die Handelsschule abgeschlossen hat. Ohne Kostümierung.

Hätte Didi Kühbauer einen Hut auf, er würde ihn vor Kara ziehen. Rapids Trainer staunt über seinen 25-jährigen Topstürmer. "Er hat unglaubliche Schritte gemacht, ist ein sehr guter Profi geworden. Er will sich jeden Tag verbessern, haut sich rein, hört zu, hat kapiert, dass man hart arbeiten muss. Er ist kein dummer Kerl." Aus einem Schnäppchen – Kara wurde im Jänner 2020 um kolportierte 200.000 Euro dem Zweitligisten Horn abgekauft – ist eine Stütze, ein absoluter Leistungsträger, eine Zukunftsaktie geworden. Sein Marktwert wird auf knapp drei Millionen geschätzt, sein Vertrag endet im Sommer 2022. "Er hat das Torjägergen und eine Siegermentalität", sagt Kühbauer.

Um die Bäume nicht in den Himmel und höher wachsen zu lassen, hält der Trainer fest: "Es wird auch bei ihm Wellentäler, Rückschläge geben. Nichtsdestotrotz erinnert er mich an Zlatan Ibrahimovic." Wobei man die Kirche schon in Hütteldorf lassen muss. "Zlatan macht solche Tore seit 20 Jahren. Er hat viel früher damit begonnen, bei den besten Vereinen der Welt. Ercan war mehrmals Schützenkönig in der Regionalliga oder Stadtliga." Also korrigiert sich Kühbauer: "Ercan ist ein Mini-Zlatan."

Absolut sehenswert

Es war der Siegtreffer zum 2:1 gegen St. Pölten, der an den legendären, mittlerweile 39-jährigen Schweden erinnerte. Ein Art Fallrückzieher im Stehen, Kara hob mit dem Rücken zum Tor stehend artistisch sein rechtes Bein fast bis zur Schulter. Prädikat "sehenswert" wäre eine schamlose Untertreibung. "Ich freue mich aber auch, wenn ich den Ball aus einem Meter ins leere Tor schiebe." Als Vorbild nennt er Didier Drogba, wobei ihn Ibrahimovic durchaus fasziniert, Kara misst 1,92 Meter, wiegt 88 Kilogramm, die Körpermaße sind so unterschiedlich nicht (Ibrahimovic 1,95 Meter und 95 Kilo).

Rückblick: Karas Eltern sind einst aus der Türkei nach Österreich gekommen, die drei Söhne (Ercan ist der mittlere) wurden in Wien geboren. Der Vater arbeitete als Schlosser, die Mutter als Putzfrau, die Karas wohnten im 14. Bezirk. Ercan besitzt nur die österreichische Staatsbürgerschaft. Des Vaters Leidenschaft war und ist Fußball, er übertrug sie auf die Buben. Emre, der Älteste, soll sogar talentierter als Ercan gewesen sein, er absolvierte ein Probetraining bei Fenerbahce, Verletzungen haben eine Karriere verhindert.

Der Mittlere begann als Siebenjähriger beim SK Slovan-Hütteldorfer AC, 2011 debütierte er in der Kampfmannschaft (Stadtliga). Wechsel zu den Amateuren der Austria in die Regionalliga Ost, dort fand er sein Glück nicht wirklich. 2016 heuerte er beim FC Karabakh Wien an (später FC Mauerwerk), ein Abstieg in die vierte Klasse. Für ihn persönlich war es freilich ein Aufstieg, 35 Tore in 30 Partien, Meistertitel in der Stadtliga, Aufstieg in die Regionalliga. Er wurde dreimal Schützenkönig, 2019 wechselte er nach Horn. 13 Treffer in 16 Spielen, Rapid biss an. "Und für mich hat sich ein Traum erfüllt." Kara bezeichnet die Monate im Waldviertel als "entscheidend". "Ich habe begriffen, dass ich an mir mehr arbeiten muss. Nur Torinstinkt reicht im Profifußball nicht."

Zahlen im Kopf

Es läuft bei Rapid. Am Vizemeistertitel hatte Kara noch einen eher geringen Anteil, spätestens in der laufenden Saison schaffte er den Durchbruch. Er hält in der Liga bei acht Toren, auch im Cup und der Europa League hat er mehrmals angeschrieben (insgesamt 21 Scorerpunkte). Kara steckt sich kollektive und persönliche Ziele. "Ich habe Zahlen im Kopf, aber sie bleiben dort. Ich will das Beste für Rapid und mich." Eine goscherte Kampfansage an Red Bull Salzburg spart er sich. "Wir wollen das Maximum. Wir spielen ein guten, unberechenbaren, schönen Fußball, sind eine Einheit, der Teamgeist passt."

Selbstverständlich nagt die Pandemie auch an Kara. "Da müssen wir alle durch. Trotzdem sind wir Fußballer privilegiert. Ich kann den Tag nicht erwarten, an dem wir endlich im vollen Stadion spielen. Ich kenne das Gefühl praktisch nicht."

Bodenständiger Ehrgeiz

Kühbauer sagt, Kara sei kein Sprücheklopfer, kein Lautsprecher. Der Leise bestätigt das. "Nur auf dem Platz bin ich zu hören, da will ich meine Mitspieler motivieren und mitreißen." Sein Privatleben ist privat, völlig unaufgeregt. "Ich verbringe Zeit mit der Familie und an der Playstation." Er sei bodenständig, demütig, aber auch ehrgeizig. "An einem Karriereplan bastle ich nicht. Es kommt, wie es kommt. Im Fußball geht es schnell." Das Thema Nationalteam stellt sich (noch) nicht. Kara dürfte auch für die Türkei einlaufen. "Ich verstehe nicht, warum bei Menschen mit Migrationshintergrund immer ein Theater ist. Es ist doch nicht so wichtig, woher du kommst, sondern wie du bist."

Am Dienstag empfängt Rapid den Wolfsberger AC (20.30 Uhr). "Es zählen nur drei Punkte", sagt Kara. Ist die Partie angepfiffen, "werde ich sicher laut sein". (Christian Hackl, 9.2.2021)