Huftiere hat es bis zur Ankunft der Europäer in Australien nie gegeben. Ihre ökologische Nische belegten Beuteltiere wie das Rote Riesenkänguru.
Foto: Mike Letnic

Kaninchen, Agakröten, Hauskatzen, Dromedare, Ziegen, Schlüssellochwespen ... die Liste von Tierarten, die in Australien eingeschleppt wurden und sich allmählich zum ökologischen oder ökonomischen Problem ausgewachsen haben, ist notorisch lang. Und ließe sich nach den Genannten noch um eine ganze Reihe weiterer Posten fortsetzen.

Aber Kängurus? Zum ersten Mal ist eine Studie nun zum Schluss gekommen, dass auch eine einheimische Tiergruppe zum Problem werden kann, wenn ihre Bestände zu stark anwachsen. Und dabei geht es nicht um den alten Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, der dazu führt, dass Farmer Kängurus abschießen, weil sie sie als Nahrungskonkurrenten des Nutzviehs betrachten. Ironischerweise kommt die im Fachjournal "Global Ecology and Conservation" veröffentlichte Studie aber zum Schluss, dass dieses martialische "Känguru-Management" – in abgemilderter Form – für die Natur besser wäre als totales Laissez-faire.

Überweidung

Ein Team um Charlotte Mills von der University of New South Wales untersuchte nach der großen Dürreperiode von 2018 eine Reihe von Schutzgebieten, in denen Tiere nicht gejagt werden durften und sich ungestört vermehren konnten. Insbesondere Kängurus prägten dort die Landschaft, aber auch Kaninchen – traditionell als Plage betrachtet – lebten dort in Frieden.

Innerhalb der Gebiete befanden sich kleinere abgezäunte Areale, die entweder känguru- oder kaninchensicher waren. Das ermöglichte den Forschern einen direkten Vergleich, wie sich die einzelnen Arten auf die Pflanzenwelt auswirken. Überraschenderweise erwiesen sich die Kängurus als schädlicher.

Der Vergleich zeigt es deutlich: Vor dem Zaun haben die Kängurus nicht viel Gras übriggelassen.
Foto: Mike Letnic

Laut Mills und ihren Kollegen wiesen die Zonen mit Känguruzutritt deutliche Anzeichen von Überweidung auf: Die Pflanzenvielfalt war geringer, die Böden nährstoffärmer und zugleich durch die ständig auf ihnen herumhoppelnden Kängurus stärker komprimiert. Das kann zum Problem werden, wenn nach einer Dürre endlich wieder Regen fällt, vom Boden aber nicht mehr gut aufgenommen werden kann. Die Verringerung der Pflanzenvielfalt wiederum wirkt sich auf verschiedene Tierarten aus, die die Flora sowohl als Nahrung als auch als Deckung benötigen. Als Beispiel nennen die Forscher den Steppenläufer (Pedionomus torquatus), einen vorzugsweise am Boden lebenden Vogel, von dem es in freier Wildbahn keine 1.000 Exemplare mehr gibt.

Balance finden

Das Fazit der Studie: Obwohl es sich bei Kängurus um einheimische Tiere handelt, dürfen auch sie sich nicht unkontrolliert vermehren. Früher hätten verschiedene Fleischfresser die Bestände auf einem verträglichen Niveau gehalten. Doch die ursprünglichen Raubbeutler sind fast alle in dem Zeitraum verschwunden, als sich die ersten Menschen in Australien ausbreiteten. Danach sorgten die später eingeschleppten Dingos jahrtausendelang dafür, dass die Bestände in Schach gehalten wurden. Doch die haben ein schlechtes Image und wurden in den vergangenen zwei Jahrhunderten systematisch getötet.

Letztlich sei es also wieder der Mensch, der das natürliche Gleichgewicht durcheinander gebracht habe – und der müsse nun auch dafür sorgen, dass es sich wieder einrenkt und nicht nur Kängurus, sondern auch alle anderen Tierarten eine Überlebensgrundlage haben. Dass Maßnahmen zur Verringerung der Kängurubestände in den betroffenen Regionen noch unpopulärer sein werden als der Abschuss von nicht-heimischen Tieren wie Dromedaren, ist den Forschern bewusst. Mills' Kollege Graeme Finlayson spricht von einer schwierigen Balance – und dass die nötigen Maßnahmen "auf die humanst mögliche Weise" durchgeführt werden müssten. (red, 13. 2. 2021)