Während gleichgeschlechtliche Orientierung in Wien mittlerweile schon auf Lichtzeichenanlagen Einzug gehalten hat, kann sie auch zum Motiv für illegales Handeln werden, wie zwei Prozesse zeigen.

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Wien – Seit 1971 ist in Österreich Homosexualität bei Erwachsenen nicht mehr strafbar. Bis der Gesetzgeber aber für eine rechtliche Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Paaren sorgte, dauerte es weitere 48 Jahre: Erst am 5. Dezember 2017 entschied der Verfassungsgerichtshof, dass ab 1. Jänner 2019 die Ehe auch Homosexuellen offensteht. Zur Avantgarde gehört das katholisch geprägte Österreich also sicher nicht – in anderen Ländern ist der Umgang einzelner Personen mit Homosexualität mitunter aber noch befremdlicher, wie zwei Verfahren an einem Tag im Straflandesgericht Wien zeigen.

Den ersten Fall verhandelt Philipp Krasa. Es geht um drei Generationen der Familie N. und ihren Nachbarn Mikica L., 40 Jahre alt. Zweimal ist es am 9. September zwischen den Serben im Gemeindebau in Wien-Landstraße zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, beide Seiten behaupten, in Selbstverteidigung gehandelt zu haben.

Ohrfeige als Reflex

Der erste Körperkontakt ereignete sich um acht Uhr morgens. Erstangeklagter L. traf auf den 26 Jahre alten Pera N., Sohn beziehungsweise Enkel des Zweit- beziehungsweise der 66-jährigen Drittangeklagten. L. schildert die Kommunikation so: "Ich habe ihn gefragt, ob es richtig ist, dass er mich als Homosexuellen bezeichnet. Er hat verneint." L. vermutete seiner Darstellung zufolge weiter den Ursprung des ihn offenbar empörenden Gerüchts in der Familie. "Dann hat er mir einen Schubser gegeben und ich ihm im Reflex eine Ohrfeige."

Der 26-Jährige stellt das als Zeuge ganz anders dar: "Er hat mich bei der Tür abgepasst und gesagt, ich habe schwul gesagt", daraufhin habe er ihm, seiner Schwester und dem Vater mit Prügel gedroht und ihn schließlich mit der Faust ins Gesicht und gegen den Oberkörper geschlagen. Der Zeuge flüchtete in die Wohnung seiner Verwandten und alarmierte die Polizei, im Spital wurden Verletzungen diagnostiziert, die auf mehr als eine Ohrfeige schließen lassen.

Gehstock oder Besen?

Zu Mittag dieses Tages kam es zum nächsten Zusammentreffen. Erstangeklagter L. sagt, fünf Vertreter der Familie N. hätten ihm aufgelauert, er habe sich nur verteidigt. Im Gegensatz zu seiner Aussage bei der Polizei ändert er aber Details: So soll die maximal 1,60 Meter große schwerkranke Drittangeklagte den 1,91 Meter großen Erstangeklagten mit einem extra geholten Besen attackiert haben – bei der Polizei sprach er noch von einem Gehstock.

Bei Frau N. wurden im Krankenhaus ein Bruch des kleinen Fingers, eine Schädelprellung und eine Bänderzerrung festgestellt. Ihr mitangeklagter Sohn erlitt, so wie auch L., Platzwunden, Prellungen und Abschürfungen. Ein Detail interessiert Richter Krasa in diesem Zusammenhang noch: Bei beiden Vorfällen soll L. nämlich bandagierte Hände gehabt haben. "Ich habe immer Bandagen, wenn ich trainiere", bestätigt der Erstangeklagte. Dass darunter ein Schlagring versteckt gewesen sein soll, wie die anderen in den Raum stellen, streitet er dagegen ab: "Ich habe einen guten Faustschlag", erklärt er.

Hohe Geldforderungen

Familie N. dagegen behauptet, dass L. zu Mittag zunächst den Zweitangeklagten angegriffen habe; als er ihn im Schwitzkasten gehabt habe, sei die Mutter zur Hilfe geeilt. Sonst seien aber keine Verwandten involviert gewesen. Für die Verletzungen will Mutter N. 3.000 Euro, ihr Sohn 2.500 Euro und ihr Enkel 1.500 Euro. L. fordert im Gegenzug von Mutter und Sohn insgesamt 5.500 Euro.

Krasa verurteilt L. nicht rechtskräftig wegen schwerer Körperverletzung zu einem Jahr bedingter Haft, zusätzlich muss er ein Antigewalttraining absolvieren. Die Opfer erhalten 500, 200 und 100 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Familie N. wird dagegen ebenso nicht rechtskräftig freigesprochen.

"Es ist gut möglich, dass irgendwer irgendwen als schwul bezeichnet hat, das war vielleicht der Auslöser", stellt der Richter in seiner Urteilsbegründung fest. "Aber das spielt hier keine Rolle. Strafrechtlich relevant wird es, wenn es gewalttätig wird. Und ich glaube nicht, dass die Drittangeklagte die große Aggressorin ist", spielt Krasa nochmals auf den Größenunterschied zu L. an. "Ich weiß nicht, ob Sie wirklich glauben, dass Sie im Abstand von vier Stunden in zwei Fällen immer das Opfer sind. Ich glaube es Ihnen nicht und es glaubt wahrscheinlich kein Richter", macht Krasa dem Erstangeklagten noch klar.

Versicherung um 12.000 Euro geprellt

Rund 15 Minuten nach Ende dieses Prozesses spielt auch ein Stockwerk höher vor Richter Georg Olschak, der sich seit einigen Monaten mit dem Titel Hofrat schmücken darf, die sexuelle Orientierung eine wesentliche Rolle. Der 27-jährige Herr C. soll eine Versicherung um knapp 12.000 Euro geprellt haben, da er finanzielle Probleme hatte.

"Woher stammen die?", fragt Olschak den in Wien geborenen türkischen Staatsbürger. "Von meinem Outing", lautet die Antwort. C. hatte seinen Eltern nämlich im Vorjahr eröffnet, dass er schwul sei. Die Familie brach daraufhin mit ihm – auf ungewöhnliche Weise: "Sie ist abgehauen und zurück in die Türkei gezogen. Ich stand plötzlich mit den ganzen Kosten da", erklärt der Angestellte, der nebenbei ein Fernstudium absolviert. Der Richter ist etwas perplex: "Die haben Sie einfach dagelassen? Haben Sie noch Kontakt?", fragt er den Angeklagten. "Mit der Mutter schreib ich ab und zu, mit dem Vater nicht mehr", antwortet der Unbescholtene, der sich schuldig bekennt.

Fingierte Rechnung für Katze

Schuldig im Fall einer zugegebenermaßen seltenen Form von Versicherungsbetrug: Der 27-Jährige hat Rechnungen einer Tierklinik für seine Katze Shams manipuliert. Die Originalrechnung stammte noch von der Kastration des Tieres. Er erfand einfach neue Posten dazu und reichte sie ein. Schon vor dem Prozess hat er mit der Haustier-Assekuranz eine Ratenzahlung vereinbart, um den Schaden gutzumachen, betont seine Verteidigerin Sonja Scheed.

Olschak sieht keinen Grund für eine Verurteilung, entscheidet sich rechtskräftig für eine Diversion und stellt das Verfahren vorläufig ein, wenn C. "nach Kräften" innerhalb von zwei Jahren seine Schulden zurückzahlt. (Michael Möseneder, 9.2.2021)