Ohne Dunkler Materie ist nicht zu erklären, was Galaxien zusammenhält.
Foto: Esa/Nasa/Hubble/S. Smartt et

Mit einem neuen Experiment hofft ein internationales Forscherteam mit österreichischer Beteiligung der rätselhaften Dunklen Materie im Universum auf die Spur zu kommen. Rund 27 Prozent der Energiedichte des Universums bestehen aus etwas, das Forscher bisher nur hypothetisch beschreiben können: Dunkle Materie. Man weiß, dass sie existieren muss, denn sie wirkt über die Gravitation. Nur mit ihr lässt sich erklären, dass Galaxien zusammenhalten, obwohl diese aufgrund ihrer Rotation eigentlich auseinanderfliegen müssten.

"Zu Dunkler Materie gibt es verschiedene astronomische Beobachtungen: wie sich Sterne in Galaxien bewegen bis hin zum kosmischen Mikrowellenhintergrund – all diese Beobachtungen zeigen, dass es die Dunkle Materie geben muss", sagt der Physiker Florian Reindl vom Wiener Institut für Hochenergiephysik (Hephy) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Technischen Universität Wien. Die Dunkle Materie sei aber immer nur indirekt durch ihre Anziehungskraft auf Materie sichtbar. "Wir sehen nie die Dunkle Materie selbst."

ÖAW-Physiker Florian Reindl über die Dunkle Materie im Universum. Video: ÖAW
Österreichische Akademie der Wissenschaften

Suche nach unbekanntem Teilchen

"Die Vermutung liegt nahe, dass Dunkle Materie ein weiteres Teilchen ist, weil die ganze Welt aus Teilchen und ihren Wechselwirkungen aufgebaut ist", sagt Reindl. Das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik fasst alle bekannten Teilchen und ihrer Kräfte zusammen. "Es stellt sich aber heraus, dass keines davon als Kandidat für die Dunkle Materie in Frage kommt", sagt Reindl. "Um zu erklären, woraus Dunkle Materie besteht, versuchen wir ein neues, bislang unbekanntes Teilchen zu entdecken – und vielleicht eine neue Kraft dazu."

Doch diese Suche gestaltet sich äußerst schwierig. "Das Problem ist, dass wir so wenig über das Teilchen wissen. Wir wissen zwar, wie schwer die Gesamtmasse der Dunklen Materie ist, wir wissen aber nicht, wie schwer ein einzelnes Dunkle-Materie-Teilchen ist." Weiters ist nicht klar, wie die Wechselwirkung zwischen der uns bekannten Materie mit der Dunklen Materie funktioniert. "Deswegen brauchen wir verschiedene Experimente mit verschiedenen Technologien, um möglichst breit aufgestellt zu sein", sagt Reindl.

Dieses Modell zeigt den künftigen Aufbau des Cosinus-Experiments, das im Gran-Sasso-Untergrundlabor eingerichtet wird.
Modell: LNGS/MPP

Drei Fahndungsmöglichkeiten

Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten, die zum Ziel führen könnten: die direkte Suche, die indirekte Suche und die Suche mit Teilchenbeschleunigern. Bei der dritten Methode werden bekannte Teilchen des Standardmodells in einem Beschleuniger, etwa dem Large Hadron Collider (LHC) am Kernforschungszentrum Cern, zur Kollision gebracht. Bei solchen energiereichen Kollisionen werden neue Teilchen erzeugt – möglicherweise auch Dunkle-Materie-Teilchen.

Bei der zweiten Möglichkeit, der indirekten Suche, kommen Teleskope zum Einsatz. "Zum Beispiel, wenn sich zwei Dunkle-Materie-Teilchen auslöschen, könnten dabei Teilchen entstehen, die wir messen können", sagt Reindl.

Der Königsweg ist für ihn aber die dritte Möglichkeit: die direkte Suche nach Dunkler Materie. Dabei sucht man nach einer direkten Wechselwirkung von einem Dunkle-Materie-Teilchen mit einem Detektor auf der Erde.

Im Tieftemperaturdetektor des Cosinus-Experiments kommt ein Natriumiodid-Kristall zum Einsatz.
Foto: MPP/Karoline Schäffner

Ein vielversprechendes Signal

Mit zahlreichen verschiedenen Ansätzen wurde in den vergangenen Jahren bereits versucht, Dunkle Materie direkt in Detektoren nachzuweisen – bisher recht erfolglos. Einzig das Experiment "Dark Matter" (DAMA) in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS) liefert seit 20 Jahren ein Signal, das auf Dunkle Materie hindeutet, bisher aber noch nie anderweitig bestätigt werden konnte.

Beim DAMA-Detektor geht man davon aus, dass sich die Erde auf ihrer Bahn durch die in der Galaxie verteilte Dunkle Materie bewegt. "Dadurch, dass die Erde um die Sonne rotiert, ist die Geschwindigkeit relativ zum Dunkle-Materie-Halo im Sommer anders als im Winter", sagt Reindl. Im Sommer ergibt sich ein Dunkle-Materie-Gegenwind und im Winter ein entsprechender Rückenwind. "Ein Detektor auf der Erde sollte bei Gegenwind mehr Ereignisse messen als bei Rückenwind", sagt Reindl. Tatsächlich liefern die aus Natriumiodid bestehenden Detektorkristalle von DAMA entsprechende jahreszeitliche Schwankungen im Signal.

Im offenen Detektormodul des Cosinus-Experiments ist der Natriumiodid-Kristall zu sehen.
Foto: MPP/Karoline Schäffner

"Keine vernünftige Erklärung"

Laut Reindl deutet alles auf Dunkle Materie hin, denn "es gibt keine vernünftige Erklärung für einen Mechanismus, der diese Signalschwankungen auf gewöhnliche Materie zurückführen könnte". Allerdings kann man bei DAMA nicht unterscheiden, ob es sich bei einem Signal um den Rückstoß an einem Atomkern gehandelt hat oder um eine Wechselwirkung mit den Elektronen der Atomhülle.

Mit dem von italienischen, finnischen, deutschen und österreichischen Forschern geplanten Experiment Cosinus (Cryogenic Observatory for Signals seen in Next-generation Underground Searches) soll nun versucht werden, die Ergebnisse von DAMA zu bestätigen. Das Hephy und die TU Wien bringen sich vor allem bei der Datenanalyse und Simulation ein, sowie beim Bau vom Reinraum und Ausleseelektronik. Bei den Cosinus-Detektoren wird ebenfalls Natriumiodid verwendet, um einen Vergleich der Ergebnisse zu ermöglichen.

Knapp am absoluten Nullpunkt

Doch Cosinus wird nicht nur Licht-, sondern auch Wärmesignale registrieren. "Die gängigen Theorien gehen davon aus, dass Dunkle Materie mit den Atomkernen und die meiste gewöhnliche Materie mit der Atomhülle wechselwirkt. Indem man Licht- und Wärme-Signale kombiniert, kann man die beiden Ereignisse auseinanderhalten", sagt Reindl, der Sprecher des Cosinus-Experiment ist. Um dies zu ermöglichen, müssen die Detektoren bei Temperaturen nur knapp über dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) betrieben werden.

Wird ein Atomkern im Natriumiodid von einem Teilchen der Dunklen Materie getroffen, so erwärmt sich der Kristall und leuchtet auf, was beides ausgelesen werden kann. Weil das Experiment so anfällig für Störungen ist, muss es extrem gut abgeschirmt werden. Deshalb wird Cosinus nicht nur unter 1.400 Meter Fels tief in einem Berg betrieben, sondern die Detektoren zusätzlich noch mit Wasser geschützt, "weil die natürliche Strahlung im Berg, sowie der restliche kosmische Strahlung, sonst eine Menge Interaktionen mit den Hüllen von Detektoratomen liefern würde".

Große Unsicherheiten

Angesichts des geringen Wissens um die Dunkle Materie und ihre Wechselwirkungen sind die Unsicherheiten in Experimenten groß. "Wenn wir das DAMA-Signal bestätigen könnten, wäre das der Nachweis, dass Dunkle Materie ein Teilchen ist, das mit normaler Materie wechselwirkt. Das wäre schon ein großer Schritt. Jetzt haben wir die Technologie, um diese Frage zu klären", sagt Reindl.

Das Forscherteam hat nun grünes Licht für einen der begehrten Plätze im Untergrundlabor erhalten. Voraussichtlich im März soll begonnen werden, den großen Wassertank – ein Zylinder von sieben Metern Höhe und sieben Metern Durchmesser – zu installieren. Die Detektor-Kristalle sind nur ein paar Zentimeter groß, in einer ersten Phase sollen einmal zwölf davon im Zentrum des Wassertanks installiert werden. "Durch Corona ist der Zeitplan etwas unklar, aber es sieht so aus, dass wir in den nächsten Monaten mit dem Aufbau beginnen können", sagt Reindl. Die Messungen sollen dann Mitte 2022 starten, ein Jahr später werden die ersten Resultate erwartet. (Tanja Traxler, APA, 11.2.2021)