Sogenannte Raum-Zeit-Kristalle sind Strukturen, die es nicht nur im Raum gibt, sondern auch in der Zeit: Die kleinsten Einheiten dieser Kristalle sind ständig in Bewegung, bis sie nach einer bestimmten Periode wieder exakt dem ursprünglichen Anordnungsmuster entsprechen.
Illustr.: Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme

Kristalle sind Festkörper, deren Atome oder Moleküle regelmäßig in einer bestimmten wiederkehrenden Struktur angeordnet sind. Ganz ähnlich verhält es sich auch bei sogenannten Raum-Zeit-Kristallen: Hier freilich existiert die wiederkehrende Struktur nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit. Die kleinsten Bestandteile sind ständig in Bewegung, bis sie nach einer bestimmten gleichbleibenden Periode wieder exakt dem ursprünglichen Anordnungsmuster entsprechen.

Erstmals 2017 gesichtet

Der Physiknobelpreisträger Frank Wilczek entdeckte 2012 die Symmetrie von Materie in der Zeit. Er gilt als der Entdecker dieser Zeitkristalle, obwohl er sie als Theoretiker nur hypothetisch vorhersagte. Dass es Raum-Zeit-Kristalle tatsächlich gibt, wurde erstmals 2017 beweisen. Jedoch waren die Strukturen nur wenige Nanometer klein und bildeten sich nur bei sehr tiefen Temperaturen von unter -250 Grad Celsius.

Nun aber ist einem deutsch-polnischen Forscherteam der Versuch gelungen, einen Mikrometer großen Raum-Zeit-Kristall bei Raumtemperatur zu erzeugen. Mithilfe eines Rasterröntgenmikroskops konnten sie die periodische Magnetisierungsstruktur in einem Kristall sogar filmen – es ist das weltweit erste Video eines Raum-Zeit-Kristalls bei Raumtemperatur. Der Raum-Zeit-Kristall bestand aus Magnonen, den kleinsten Bestandteilen einer Spinwelle. Besonders spannend ist, dass die Physiker zeigen konnten, dass ihr Raum-Zeit-Kristall mit anderen Magnonen, die auf ihn treffen, interagieren kann.

Das Graustufenbild zeigt eine Momentaufnahme der zeitaufgelösten Röntgenmikroskopie des magnonischen Raum-Zeit-Kristalls. Durch dessen Interaktionen mit weiteren Magnonen entstehen ultrakurze Spinwellen, die unten dargestellt sind.
Credit: Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme

Einzigartiges Experiment...

"Wir haben das regelmäßig wiederkehrende Muster der Magnonen in Raum und Zeit genommen, darauf weitere Magnonen geschickt, die dann letztendlich gestreut wurden. Somit konnten wir zeigen, dass beide miteinander interagieren können. Das konnte bisher noch niemand in einem Experiment direkt zeigen, geschweige denn in einem Video", sagt Nick Träger vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Stuttgart, der zusammen mit Pawel Gruszecki Erstautor der Publikation in den "Physical Review Letters" ist.

In ihrem Versuch legten Träger und Gruszecki einen Streifen eines magnetischen Materials auf eine mikroskopische Antenne, durch die sie einen Hochfrequenz-Strom leiteten. Dieses Mikrowellenfeld löste ein oszillierendes Magnetfeld aus, eine Energiequelle, die die Magnonen in dem Streifen anregte. Von links und rechts wanderten magnetische Wellen in den Streifen und kondensierten spontan in ein immer wiederkehrendes Muster in Raum und Zeit. Im Gegensatz zu trivialen, stehenden Wellen entstand dieses Muster schon vor der Interferenz der zwei aufeinander zulaufenden Wellen. Bei dem Muster, das regelmäßig verschwindet und von selbst wieder entsteht, muss es sich also um einen Quanteneffekt handeln.

Video: Die weltweit ersten Videoaufnahmen eines Raum-Zeit-Kristalls.
Max Planck Institute for Intelligent Systems

... und leistungsfähige Kamera

"Die Röntgenkamera kann die Wellenfronten nicht nur mit sehr hoher Auflösung, die 20 Mal besser ist als das beste Lichtmikroskop, sichtbar machen. Das geht sogar mit bis zu 40 Milliarden Bildern pro Sekunde und mit extrem hoher Sensitivität auch auf magnetische Phänomene", meint Gisela Schütz, Direktorin am MPI-IS und Leiterin der Abteilung für Moderne Magnetische Systeme.

"Wir konnten zeigen, dass solche Raum-Zeit-Kristalle viel robuster und weit mehr verbreitet sind, als man zunächst dachte", sagt Gruszecki von der Physikfakultät der Adam Mickiewicz Universität in Poznań. "Unser Kristall kondensiert bei Raumtemperatur und Teilchen können mit ihm – anders als bei einem isolierten System – interagieren. Zudem hat er eine Größe erreicht, mit der man etwas mit dem Raum-Zeit-Kristall machen könnte. Daraus ergeben sich neben den spannenden fundamentalen Einblicken auch möglicherweise viele Anwendungen." So sei etwa das Potenzial für Anwendungen in der Kommunikationstechnik, der Radartechnik oder Bildgebung besonders groß. (red, 9.2.2021)