Vjosa Osmani und Albin Kurti wollen die alten Eliten ablösen.

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Um die Bäume der Mutter-Theresa-Straße im Herzen der kosovarischen Hauptstadt Prishtina sind in diesen Tagen rote Schleifen gebunden. Sie sollen symbolisch darauf hinweisen, dass sich die Bevölkerung im Wirrwarr der politischen Ereignisse zurechtfindet wie in einem Urwald, den man durchqueren muss. Die roten Schleifen hat die Partei Vetëvendosje (VV) – zu Deutsch Selbstbestimmung – angebracht.

Doch schaut man auf die Umfragen, braucht es gar nicht so viel Mahnung und Warnung. Die VV könnte demnach kommenden Sonntag auf mindestens 40 Prozent der Stimmen kommen, manche Institute rechnen sogar damit, dass die Partei, die sich aus einer Bürgerbewegung heraus entwickelt hat, von mehr als der Hälfte der Wähler auf dem Stimmzettel angekreuzt wird.

Vor allem die jungen Leute, die Frauen und die Diaspora stehen hinter der VV und ihrem wichtigsten Repräsentanten: Albin Kurti.

Auf einer Parkbank neben den rotbeschleiften Bäumen sitzen die drei 18-jährigen Schülerinnen, die sich die Fantasienamen Freyja, Calypso und Andromeda geben. Es ist ihre erste Wahl, und für sie kommt nichts anderes infrage, als die VV zu wählen. "Wir müssen etwas gegen die Korruption tun", sagt Andromeda in bestem Englisch.

"Wir sind alle drei nicht in die öffentliche medizinische Schule hineingekommen, weil dort nur Kinder reicher Eltern Zugang haben, die sich die Noten kaufen können. Deshalb mussten wir auf die private Schule gehen, obwohl wir viel besser waren", meint Calypso.

Bildung statt Kriegshelden

Auch Freyja ist überzeugt, dass der Kosovo mit der VV in eine neue Ära geht: "Es ist an der Zeit, dass die anderen Parteien endlich abgelöst werden. Die interessieren sich nur für Geld und haben dieses korrupte System etabliert. Wir sind eine neue Generation, wir haben nichts mehr mit dem Krieg zu tun, aber wir brauchen gute Ausbildung und Arbeit."

Die VV hatte bereits die Wahlen 2019 gewonnen und erstmals in einer Koalition mit der konservativen LDK regiert, die allerdings nur 52 Tage währte und Ende März 2020 – unter anderem durch die Intervention des damaligen US-Gesandten Richard Grenell – gestürzt wurde. Premier Kurti war den Anweisungen aus Washington nicht gefolgt. Danach kam eine Regierung ohne die VV an die Macht, das Verfassungsgericht entschied allerdings vergangenen Dezember, dass dies unrechtmäßig war, weil ein Abgeordneter mitgestimmt hatte, der dies wegen einer Verurteilung gar nicht hätte tun dürfen. Deshalb finden nun wieder Neuwahlen statt.

Jetzt erst recht

Und weil sich die Kosovaren traditionell nichts gefallen lassen, wählen viele nun erst recht die VV und Kurti – um ihm eine zweite Chance zu geben. Kurti steht zwar selbst nicht auf der Wahlliste, weil er im Jahr 2018 Tränengas im Parlament versprüht hatte und drei Jahre warten muss, bis die entsprechende Strafe verjährt ist. Doch Premier will er trotzdem werden.

Unterstützung bekommt er von der amtierenden Präsidentin, Vjosa Osmani, die bei der letzten Wahl noch für die LDK angetreten ist, nun aber mit der VV kooperiert. Auch Andromeda, Calypso und Freyja sind Fans der 38-jährigen Juristin. Wie Osmani wollen sie es durch Bildung weit bringen und gegen "toxische Männlichkeit" ankämpfen, wie Andromeda meint. Kurti und Osmani stehen für Veränderung und Aufbruch, weil sie Korrupte in der Justiz und Polizei absetzen wollen und weil sie Jobs versprechen, was angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent zentral ist.

Offen ist, ob die VV, wenn sie keine absolute Mehrheit bekommt, Koalitionspartner finden wird. Denn der ehemalige nationalistische Bürgerschreck Kurti hat sich durch Radikalopposition wenig Freunde gemacht. Und offen ist auch, ob Osmani vom Parlament als Staatspräsidentin bestätigt werden wird. (Adelheid Wölfl aus Prishtina, 10.2.2021)