Isaac Wood (Mitte) und Black Country, New Road. Die Stimme einer Generation? Zerrissen genug klingt es.

Foto: Ninja Tune

Isaac Wood hat möglicherweise 99 Probleme. Selbstüberschätzung zählt sicher nicht dazu. Der junge studentische Twen zählt mit dem siebenköpfigen Londoner Bandkollektiv Black Country, New Road zum derzeit höchstgehandelten neuen Alternative-Act Großbritanniens. Von der Presse wird er geradezu in den Himmel gelobt. Die Stimme einer Generation?

Das Erfolgskonzept könnte unter anderem darin begründet liegen, dass sich Isaac Wood in der Öffentlichkeit gern selbst schlechtmacht und sein Licht, nun ja, unter den Teppich kehrt. Das Publikum liebt es, wenn sich jemand stellvertretend als Loser inszeniert.

Isaac Wood singt dabei nicht. In alter britischer Tradition etwas autistisch wirkender Männer an der Budel im Pub gelangt es zu einer im freien Fluss gehaltenen Kunst der Selbstbezichtigung, die nicht nach Zuhörern verlangt. Die zwei Leute, die neben ihm gestanden sind, haben sich ohnehin längst verzogen und stehen jetzt in der Ecke gegenüber. Die Lebensgeschichte beziehungsweise die Geschichten aus dem Leben sind bei Taxifahrten schon schwer genug zu ertragen, bitte nicht auch noch im Pub.

Black Country, New Road

Im zentralen, knapp zehnminütigen Stück Sunglasses des nun für eine Indie-Band interessanterweise auf dem renommierten britischen Elektroniklabel Ninja Tune veröffentlichten Debütalbums For the First Time prasselt auf die Hörer eine wahre Sündenflut an angelesenen, angehörten, angeschauten und aufgeschnappten popkulturellen Referenzen nieder.

Eine Drama-Queen ...

Isaac Wood trägt dies mit hübsch die Drama-Queen gebender, um Luft und seine Antidepressiva ringender Stimme vor. Sechsteilige dänische Krimiserien kommen in diesem Sermon ebenso vor wie der Trend zum Zweitfernseher im Haushalt, missratene Theateraufführungen, Eiswürfel im Malt Whisky, Kayne West als solcher – und, dazu passend, Chemtrails oder die Sonnenbrillen von Scott Walker.

Black Country, New Road

Der musikalische Eigenbrötler von den Walker Brothers, der einst südamerikanische Folterpraktiken von Militärdiktaturen in die zu Herzen gehende Ballade The Electrician verpackte, will von all dem nichts mehr sehen. Sonnenbrillen machen unsichtbar. Entfremdung ist angesagt in diesen Lebensumständen im Lockdown, die vom künstlichen, blauen Licht der Bildschirme dauererleuchtet werden. Das Licht zerstört den Schlaf-wach-Rhythmus. Man wird verrückt.

In anderen Stücken wie Athens, France geht es um obligat schlechte Stimmungen oder schlechten oder gar keinen Sex mit Influencern: "It’s a one-size-fits-all hardcore Cyber-fetish early noughties ’zine / She sells matcha shots to pay for printing costs and a PR team / She’s sexually enlightened and she’s forward, and that fazes me / She won’t give up, too soft to fuck but how hard could it really be?"

... auf Antidepressiva

Isaac Wood schreibt seine Texte als Stream of Consciousness. Allerdings hackt er sie nicht als Beatpoet in die mechanische Schreibmaschine, sondern tippselt sie häppchenweise ins Handy. Schon wieder eine gute Idee! Schreib auf: "Ich gestand ihr meine Liebe vorn beim Konzert von Black Midi."

Die Band, die wie die Math-Rocker Black Midi aus dem Umfeld des bis zu Corona angesagtesten Südlondoner Live-Clubs The Windmill stammt, produziert dazu nicht wie erwartet gut abgehangene Indiemusik zwischen sensiblem Gezupfe und breitbeinigem Losrocken, gebrochen durch "elektronische Einflüsse" aus der aktuellen "Clubmusik". Wie etwa befreundete Windmill-Bands auch, genannt seien etwa Goat Girl, Fat White Family oder Squid, vertrauen Black Country, New Road auf die Kunst der Improvisation bei losen Vorgaben.

Black Country, New Road

Es geht um die Inszenierung oder auch Verdichtung einer Livesituation mit klassischem Instrumentarium wie Gitarre, Bass, Schlagzeug. Dazu gesellen sich noch Violine, Klavier und Saxofon. Die Musiker wechseln live auch gern die Instrumente. Das kann in achtminütigen Stücken wie Opus oder besagtem Sunglasses dazu führen, dass sich das Septett über ruhige atmosphärische Gitarrenschlieren im Stile von Sonic Youth vortastet zum Krautrock der 1970er-Jahre.

Dazwischen sind wüste Ausbrüche Richtung Noise und Jazz oder Hotelbarschlurfigkeit möglich, schließlich auch wilder Klezmer. Das alles kann in einem einzigen Stück passieren. So großartig wie fordernd. 99 Probleme. Langweile zählt mit Sicherheit nicht dazu. (Christian Schachinger, 10.2.2021)