Der Verfassungsrechtler Jamie Raskin, im Vordergrund, will Trump wegen "Anstiftung zum Aufruhr" für alle Zeiten aus der Politik verbannen.

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Es ist nicht das erste Mal, dass Jamie Raskin im Kongress im Rampenlicht steht. Für Aufsehen sorgte er bereits, als er beantragte, Ärzte darüber befinden zu lassen, ob der damalige Präsident Donald Trump noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sei. Oder ob man ihn nicht besser für amtsunfähig erklären sollte. Ein zweiter Gesetzesentwurf, den er einbrachte, sollte es Regierungsbeamten verbieten, auf Kosten des Steuerzahlers in Hotels der Trump-Organisation zu übernachten oder in deren Restaurants zu speisen. Wenn der Präsident der Verfassung schon so wenig Respekt entgegenbringe, dass er nicht von sich aus auf solche Einnahmen verzichte, schrieb er im März vor zwei Jahren, müsse das Parlament diese ungesetzlichen Zahlungen stoppen.

Seit Dienstag steht Raskin erneut im Rampenlicht. Für eine Woche, vielleicht auch für zwei oder drei Wochen, je nachdem, wie lange die Impeachment-Verhandlung dauert. Von Haus aus Verfassungsrechtler, ist er Chefkläger im Prozess gegen Trump, beauftragt von Nancy Pelosi, der Chefin des Repräsentantenhauses. Er habe sich darauf eingelassen, weil es ohnehin keinen Zweck habe, Pelosi einen Wunsch abzuschlagen, gab er neulich ironisch auf CNN zum Besten.

Harte Zeiten

Ernster im Ton fügte Raskin hinzu, dass er seine demokratische Pflicht zu erfüllen habe. Gerade jetzt, in für ihn persönlich so schwierigen Zeiten. "Ich werde am Ende des Jahres 2020 nicht meinen Sohn verloren haben, um im Jahr 2021 mein Land und meine Republik zu verlieren. Das wird nicht passieren."

Tommy Raskin, der Sohn, hat sich am Silvestertag das Leben genommen. Der 25-Jährige, der in Harvard Jus studierte, Tierrechtsaktivist war und wegen der Pandemie vorübergehend bei seinen Eltern wohnte, litt an Depressionen. "Bitte verzeiht mir, die Krankheit hat heute gewonnen", schrieb er in einem Abschiedsbrief. Die jüngere von Raskins zwei Töchtern, Tabitha, bat ihren Vater, am nächsten Tag auf den Auftritt im Kongress zu verzichten, im Kapitol, wo der Wahlsieg Joe Bidens endgültig bestätigt werden sollte. Worauf er erwiderte, an einem symbolisch so wichtigen Tag könne er unmöglich fehlen. Ob sie nicht mitkommen wolle?

Tabitha Raskin (23) saß dann neben Hank, dem Mann ihrer Schwester, auf der Zuschauertribüne. Im Saal hielt ihr Vater eine eindrückliche Rede. Abraham Lincoln zitierend, erinnerte er seine Kollegen daran, dass sie nach dem Willen des Volkes zu handeln und das Wahlergebnis zu zertifizieren hätten, statt sich den Befehlen eines einzelnen Mannes zu beugen.

Entwurf der Anklageschrift

Kurz darauf schlugen Anhänger Trumps im Kellergeschoß des Parlaments das erste Fenster ein. Was dann geschah, hat Jamie Raskin seither in vielen Interviews erzählt.

Während Polizisten ihn wie auch die anderen Volksvertreter durch ein Labyrinth von Korridoren und Treppen in einen sicheren Raum brachten, mussten sich Tabitha und Hank in einem Büro verstecken, gemeinsam mit Julie Tagen, Raskins engster Mitarbeiterin. Sie verbarrikadierten die Tür, während draußen die Aufrührer wüteten, und krochen unter einen Tisch. Tagen soll, so berichtet es das Magazin The Atlantic, mit einer Eisenstange, wie man sie benutzt, um das Feuer im Kamin zu schüren, hinter der Tür gestanden haben.

Als die Demokraten beschlossen, wegen Anstiftung zum Aufstand auf die Amtsenthebung Trumps zu drängen, entwarf Raskin die Klageschrift – ein Fachmann, der schon Verfassungsrecht lehrte, als im Weißen Haus noch George Bush senior residierte. 1990 bekam der Harvard-Absolvent eine Stelle an der American University in Washington, wo er 26 Jahre unterrichtete. Seit 2017 vertritt er den achten Kongresswahlbezirk Marylands im Repräsentantenhaus: wohlhabende Vorstädte nördlich von Washington, in denen die Demokratische Partei jede Wahl unangefochten gewinnt. Er wolle, begründete er einst seine Bewerbung, zwar nicht im politischen, wohl aber im moralischen Zentrum stehen. (Frank Herrmann aus Washington, 10.2.2021)