Somalia ist wieder dort angelangt, wo sich das ostafrikanische Land bereits jahrzehntelang befand: ohne einen regulären Präsidenten, ohne Regierung, von rivalisierenden Clans und extremistischen Islamisten aufgerieben. Eigentlich sollten bis diesen Dienstag erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder alle erwachsenen Somalier einen neuen Präsidenten gewählt haben – stattdessen endete die Amtszeit von Mohamed Abdullah Mohamed alias Farmajo, ohne dass ein Nachfolger bestimmt worden war.

Bereits im vergangenen Jahr waren die allgemeinen Wahlen wieder in eine indirekte Abstimmung der Clanvertreter verwandelt und schließlich so lange verschoben worden, bis Farmajos Regierungszeit endete. Jetzt erkennt die Opposition den 58-jährigen Präsidenten mit US-Pass nicht mehr an: Sie will eine Übergangsregierung unter Beteiligung von Parlamentariern, Oppositionsführern und Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft eingesetzt sehen. "Bleibt Farmajo im Amt, wird er für den Kollaps des Landes verantwortlich sein", sagte der Chef der Oppositionspartei Wadajir, Abdishakur Abdirahman. In einer nichtöffentlichen Sitzung beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat in New York am Dienstagabend mit der explosiven Lage: Eine weitere Destabilisierung am Horn von Afrika könnte verheerende Konsequenzen für die ganze Region haben.

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Präsident Farmajos Amtszeit ist zu Ende gegangen, ohne dass ein Nachfolger bestimmt worden wäre.
Foto: Reuters/Omar

Streit um Modus

Eigentlich hatte sich die somalische Zentralregierung mit der Opposition und den fünf Provinzchefs des Landes im vergangenen September auf eine Wahlprozedur geeinigt. Danach sollten die Clanältesten gemeinsam mit regionalen Wahlkommissionen insgesamt fast 28.000 Delegierte bestimmen, die anschließend die 275 Parlamentarier wählen würden, welche dann ihrerseits den Präsidenten bestimmen.

Schon bei der Besetzung der regionalen Wahlkommissionen kam es jedoch zum Streit: Die Opposition warf Farmajo vor, die Gremien mit seinen Gefolgsleuten – vor allem aus dem Militär und dem Geheimdienst – bestückt zu haben. Unter den Kritikern des Präsidenten befinden sich auch die Chefs der beiden Provinzen Jubaland und Puntland: Spätestens seit der Abspaltung Somalilands vor 30 Jahren ist das gänzliche Auseinanderbrechen des von zahlreichen Clans und Unterclans bevölkerten Territoriums der Albtraum in Mogadischu.

Terroristen profitieren

Sämtliche Gespräche zwischen den zerstrittenen Parteien führten zu nichts. Zuletzt hatte Farmajo in der vergangenen Woche drei Tage lang mit der Opposition und den beiden Provinzchefs verhandelt. Danach warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, den Zusammenbruch der Verhandlungen verursacht zu haben.

Am meisten profitiert von dem Machtvakuum jedoch eine Gruppe, die bei den Gesprächen gar nicht beteiligt war: Die Terrormiliz Al-Shabaab, die bei einem Bombenanschlag nicht weit vom Verhandlungsort in dem Städtchen Dhusamareb entfernt zwölf Geheimdienstoffiziere tötete. "Al-Shabaab lacht sich ins Fäustchen", kommentiert der Direktor des somalischen Politinstituts Hiraal, Hussein Sheikh Ali: "Farmajo, die politische Elite und die internationale Gemeinschaft haben versagt."

Düstere Prognose

Der ehemalige Sicherheitsberater des Präsidenten wirft sowohl den USA wie der EU vor, den im westlichen Asyl aufgewachsenen Farmajo viel zu lange und bedingungslos unterstützt zu haben: "Jetzt stehen sie ohne einen Plan B vor den Trümmern ihrer Politik".

Al-Shabaab schlägt inzwischen selbst wieder in Regionen des Landes zu, aus denen sie in den vergangenen zehn Jahren vertrieben worden waren. Und trotzdem vermindern sowohl die afrikanische Mission Amisom wie Somalias Nachbarstaaten ihre Truppenstärke, die US-Streitkräfte haben ihre 700 Soldaten bereits ganz abgezogen. Dem Land stehe "das schlimmste Jahr seit langem bevor", orakelt der renommierte Fachdienst "Africa Confidential": Das will in Somalia schon etwas heißen. (Johannes Dieterich, 9.2.2021)