Die Tao, von denen etwa 5000 auf der Orchideeninsel vor der Südküste Taiwans leben, haben ein reiches Erbe an Liedern und Tänzen.

Foto: Markus Zahradnik

Ihre Lieder sind für die Gruppe der Tao die Archive ihrer Kultur", sagt Wei-Ya Lin über den Ausgangpunkt ihrer Forschungsarbeit. "Kreative (Miss)Verständnisse" ist der Titel dieses vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten künstlerischen Forschungsprojekts, in dem sie mit einem Team aus Musikern, Komponisten und einer Videokünstlerin die Musik der Tao aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet.

Die Tao, von denen etwa 5000 auf der Orchideeninsel vor der Südküste Taiwans leben, haben ein reiches Erbe an Liedern und Tänzen. Wie ihre traditionelle Lebensweise wird dieser Kulturschatz von zwei Hauptgefahren bedroht: dem Massentourismus aus Taiwan und den radioaktiven Substanzen aus einem Atommülllager.

"Letzteres wurde den damals noch weitgehend analphabetischen Tao in den 1980er-Jahren von der taiwanesischen Regierung als ‚Fischkonservenfabrik‘ untergejubelt", berichtet Wei-Ya Lin, die seit 23 Jahren in Österreich lebt.

Mit 16 ging sie von Taiwan allein nach Österreich, um an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Bratsche als Konzertfach zu studieren. Die faszinierende Kultur der Tao kennt sie seit langem. "Ich habe 2005 in einem musikethnologischen Projekt mitgearbeitet und so die Orchideeninsel und ihre Bewohner kennengelernt", berichtet die Forscherin und Musikerin.

Kontinuierliche Feldforschung

Seit damals fährt sie jedes Jahr mindestens einmal hin. Ein Ergebnis dieser kontinuierlichen Feldforschung ist ihre Dissertation über die Musik der Tao, die demnächst im Transcript-Verlag erscheinen wird. "Die Lieder der Tao dienen oft der Kommunikation mit Geistern", gibt Wei-Ya Lin einen kleinen Einblick in die fremde Gedanken- und Kunstwelt dieser Volksgruppe. "So werden Bäume durch Singen beschwichtigt, bevor man sie fällt, um mit ihrem Holz etwa Kanus zu bauen."

Ein umfassendes intellektuelles Durchdringen dieses fremden Denkens und seiner kulturellen Ausdrucksformen hat erwartungsgemäß seine Grenzen. Deshalb will man im aktuellen Projekt unter der gemeinsamen Leitung von Wei-Ya Lin und dem Komponisten Johannes Kretz auch dezidiert "den Raum zwischen Verstehen und Missverstehen aus verschiedenen Blickwinkeln ausloten".

Als sehr junger Mensch alles Vertraute – Eltern, Freunde und Heimat – zu verlassen ist hart. Noch härter sei allerdings das Leben einer taiwanesischen Schülerin mit musikalischen Ambitionen, erinnert sich Wei-Ya Lin. "Da man, um Musik studieren zu können, in allen Fächern sehr gut sein muss, hatte ich als Jugendliche oft nur wenige Stunden Zeit zum Schlafen", berichtet die Forscherin.

"Neben den normalen Schulfächern, in denen man laufend geprüft wurde, musste ich ja auch noch Bratsche und Klavier üben." Den enormen Druck, unter dem sie damals stand, spürt die Forscherin mitunter bis heute noch in ihren Träumen, obwohl sich ihre Karriere optimal entwickelt hat. Zwar nicht wie ursprünglich geplant in Richtung Bühne, sondern hin zu Schreibtisch und Forschung. "Während und nach meinem Bratsche-Studium hatte ich ein eigenes Quartett und spielte auch in mehreren Orchestern mit", erzählt die 39-Jährige. "Aber inzwischen brenne ich für die Wissenschaft!" (Doris Griesser, 13.2.2021)